Heimatmuseen zeigen Fundstücke aus der jeweiligen Region und vermitteln so einen Eindruck…
Irrwege, Königswege, Abwege, Berufswege, Umwege, Lebenswege, Leidenswege, Heimwege, Holzwege und selbst im Ausweglosen: Dauernd sind wir auf irgendwelchen Wegen irgendwie und irgendwohin unterwegs. Das Unterwegssein zeichnet uns aus. Manch einer meint gar, das Weg selbst sei das Ziel. Grund genug, sich einmal zu fragen, auf welchen Untergründen wir uns da eigentlich bewegen und was die Art des Untergrunds mit uns macht. Das Faszinierende: Manche Wege verschwinden von allein, wenn man sie nicht mehr benutzt. Mit Blick auf den Zustand des deutschen Straßennetzes ist es umgekehrt: Die Wege verschwinden gerade durch häufige Benutzung, zerbröseln und werden unbenutzbar. Auf Dauer wäre mir das andere Prinzip lieber.
Der Trampelpfad
Der Urtyp aller Wege ist der Pfad – er ist nicht eigens angelegt, sondern durch häufige Nutzung entstanden: Die Begehung selbst bahnt den Weg. Der Pfad kann sandig sein, erdig, lehmig, steinig, mit Gras bewachsen, durch Wasserläufe führen oder aus festgetretenen Blättern bestehen. Er gleicht dem Wildwechsel, ist manchmal schwer aufzuspüren, ist unbefestigt und unbeständig. Oft führt er zu Quellen, Jagdgründen und Gipfeln oder exponierten Lagen im Gelände, doch bleibt er nur solange bestehen, wie er auch genutzt wird. Bei nachlassender Nutzung ist der Weg schnell überwuchert, die menschliche Spur wird getilgt. Es gibt Menschen, die anhand alter Karten, Markierungen und Aufzeichnungen auf der Suche nach letzten Spuren solcher alten Pfade sind. In der mannigfaltig überformten Landschaft unserer Tag enden diese letzten Fragmente früher Wegbestände jedoch meist abrupt an einer Asphaltstraße, einem Gewerbebau oder dem Krater einer Kiesgrube.
Der Bohlenweg
Dass Moore organische Substanzen gut zu konservieren vermögen, erkennt man nicht nur an den bronzezeitlichen Moorleichen Norddeutschlands und Dänemarks, sondern auch an den in Mooren immer wieder zutage tretenden Überresten alter Holzbohlenwege. Der Holzbohlenweg ist der erste Versuch, einen Weg für eine gewisse Dauer zu befestigen. Er verbindet menschliche Siedlungen miteinander und ist als ein solches Verbinden selbst ein Wegweiser in eigener Sache: Folge diesem Weg – und du wirst dein Ziel erreichen. Wahrscheinlich hat die Redensart, dass man nicht vom rechten Wege (auch als Pfad der Tugend bekannt) abkommen möge, hier ihren Ursprung. Schon ein kleiner Fehltritt reichte aus, um den sicheren Holzbohlenweg zuverlassen und ins abgründige Moor zu stürzen. Und weil der Holzbohlenweg zuverlässig an sein Ziel führt, ist er auch alles andere als ein Holzweg. Der sprichwörtliche Holzweg ist eigentlich nur ein Holzabfuhrweg und endet auf einer Kahlschlaglichtung.
Das Kopfsteinpflaster
Weil der Holzbohlenweg zumal aus beständigem Eichenholz zwar eine ganze Weile, aber eben keine Ewigkeit hält, sind Menschen bald auf die Idee gekommen, Wege mit Steinen zu pflastern. Das bot sich insbesondere in den steinreichen Gegenden an. Je nach Region verwendete man die natürlichen Steinvorkommen der näheren Umgebung und sorgte so für einen unverwechselbaren Auftritt: Wer auf einem groben Pflaster aus eiszeitlichem Geschiebe unterwegs sind, geht anders als ein Spaziergänger auf behauenem Basalt. Selbst der Klang der Schritte ist ein anderer. Gepflasterte Wege überdauern auch ohne Moorkonservierung die Jahrhunderte oder gar Jahrtausende. Sie waren die Fernstraßen des Altertums und des Mittelalters und stellten noch bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts ein Gros der öffentlichen und privaten befestigten Wege. Das war, solange man zu Fuß, auf dem Pferd, mit der Kutsche oder auf dem Fahrrad bei gemächlichem Tempo unterwegs war, nicht immer angenehm, aber doch möglich. Erst die fortschreitende Automobilisierung und die Zunahme der Reisegeschwindigkeit verlangten nach ebeneren Wegoberflächen. Richtiges Kopfsteinpflaster findet sich heute fast nur noch in historischen Ortskernen und ist regelmäßig Gegenstand der Anfeindung, weil Stöckelschuhe, Kinderwagen, Skateboards, Inliner und Rollatoren nicht gut auf ihm zurecht kommen.
Der Plattenweg
Das vorläufige Ende der Entwicklung markieren Bodenklinker oder Platten aus Naturstein oder Beton. Auf ihnen kommt man gut voran, doch schön sind sie nicht. Der Fuß berührt zwar den Boden, doch von einer Erdung kann keine Rede sein. Solche Wege sind zweckmäßig und einigermaßen preiswert in der Anlage und im Unterhalt. Doch sie sind zugleich auch sehr eintönig. Wer auf ihnen unterwegs ist, kann überall unterwegs sein. Der Naturstein heutiger deutscher Fußgängerzonen etwa kommt aus den Steinbrüchen Indiens oder Chinas, die Betonplatte aus der Fabrik und der Bodenklinker aus irgendeinem günstig anbietenden Ziegelwerk. Wege verlieren so ihr regionales Gesicht, ihre Individualität. Was bleibt, ist ihre Anonymität. Dass auch die Lebenswege vieler Menschen heute zu einer gewissen Gleichförmigkeit und Austauschbarkeit neigen, dürfte kein Zufall sein. Die Ödnis wächst. Wo ist die Wildnis? In den Fugen sehe ich sie sprießen.
Foto: Lutz Meyer
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