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Unendlich die Zahl der Ratgeber, die einem nahelegen, dass wir viel zu viel irdische Habe mit uns herumschleppen. Befreit man sich von seiner Habe oder reduziert sie wenigstens, werde – so das Versprechen – das Leben schöner, einfacher und leichter (in Kilogramm ausgedrückt auf jeden Fall). Ein Durchschnittsmensch besitzt angeblich um die 10.000 Dinge – Korkenzieher, Unterhosen, die eingangs erwähnte Ratgeberliteratur sowie das Smartphone eingerechnet. Wesentlich mehr dürfte ein durchschnittlicher Sammler besitzen – egal von was. Denn wer sammelt, sammelt in aller Regel nichts Nützliches für den Alltagsgebrauch, sondern Überflüssiges: Kurioses, Seltenes, Schönes, Makabres, Gräßliches oder (ganz phantasielos) einfach nur Teures. Der Sammler möchte sein Leben also nicht erleichtern und auf diese Weise schöner gestalten. Im Gegenteil. Deshalb spricht man wohl auch von Sammelleidenschaft – wer  sammelt, leidet. Aber ist das wirklich so? Am Strand treffen wir den Sammler. Er sieht eigentlich ganz zufrieden aus. Wir wollen wissen, was er da sammelt, warum er das sammelt und was das Sammeln mit ihm macht.

 

Und? Heute schon was gefunden?

Klar, immer.

Nämlich?

Steine. Weitgereiste Steine. Sind von den Gletschern der letzten Eiszeit hier angelandet worden. Sie kommen eigentlich aus Skandinavien, Schweden, Finnland, Norwegen. Man kann genau ermitteln, aus welcher Gegend so ein Stein stammt. Dieser hier zum Beispiel – – –

Interessant. Du sammelst also Steine. Immer schon?

Ich bin an der Ostseeküste aufgewachsen. Da sammelt man halt Steine.

Echt? Alle Kinder?

Nö. Eigentlich die wenigsten. Aber ich hab halt angefangen damit. Der erste Stein, den ich mit nach Hause nahm, war ein Stein, der mich damals entfernt an eine Raumkapsel erinnerte. Das muss im Sommer oder Frühherbst 1969 gewesen sein. Da war ich sieben Jahre alt. Das Bild von der Kapsel, aus der die Astronauten von Apollo 11 nach der Landung im Meer kletterten, hatte mich beeindruckt. Und dann fand ich diesen Stein, der der Kapsel entfernt ähnlich sah, nur viel kleiner. Ich nahm das Teil mit in die Schule und zeigte es dem Heimatkundelehrer, so was gab’s damals noch. Der Stein entpuppte sich schnell als versteinerter Seeigel. Aber das weckte mein Interesse. Ab da gab es kein Halten mehr. Ich war ja oft am Strand, nicht nur im Sommer, sondern auch im Frühjahr und im Herbst, wenn es stürmisch war und viel Zeugs angespült wurde. Ich fand Seeigel, Donnerkeile, Unbestimmbares und Skurriles in rauhen Mengen. Und ganz selten auch was Steinzeitliches.

Und das machst du bis heute?

Ja, mit Unterbrechung allerdings. Als ich 1981 zum Studium die Ostseeküste verließ, wurde es erstmal still ums Sammeln. Die Sammlung blieb zu Hause, meine Mutter entsorgte nach und nach alles, was ihr nicht des Aufhebens würdig erschien. Aber einige schöne Stücke fand ich dann zehn Jahre später noch vor, als mein Interesse langsam wiederkehrte. Und da fing ich wieder an. Wenn ich im Urlaub irgendwo im Norden bin, hab ich den typischen Sammlergang: Leicht vornübergebeugt, die Augen scannen unentwegt die 10 oder 12 Quadratmeter, die vor einem liegen. Und ab und an geht’s raubvogelartig hinab, wenn man sich auf einen potenziellen Fund stürzt.

Du hast also bereits in einem Alter gesammelt, in dem Jungs normalerweise an andere Dinge denken.

Hey, ich war kein Freak. Für Mädchen hab ich mich auch damals schon interessiert.

Und die hast du dann gefragt: Kommst du noch mit rauf, meine Steinsammlung ansehen?

Mir war schon früh klar, dass man mit so einer Marotte leicht als Sonderling enttarnt wird. Folglich hab ich mein Hobby nicht so in den Vordergrund gestellt. Doch auf Dauer ließ sich so was natürlich nicht verheimlichen. Aber Steine sind halt nicht ganz so spießig wie Briefmarken, Kronkorken, Fußballerbilder oder Bierdeckel. Man musste nur auf den materiellen Wert mancher Steine hinweisen. Klar, auch Briefmarken können wertvoll sein. Aber bei einem Bernstein etwa ist der Wert greifbarer.

Du bist im sechsten Lebensjahrzehnt. Platzt deine Sammlung nicht längst aus allen Nähten?

Nein, ich habe darauf geachtet, dass es nie überhand nahm. Donnerkeile oder Seeigel sammele ich kaum noch. Mineralien auch nicht mehr, ich hab mich irgendwann auf Steinzeitliches spezialisiert. Das findet man nämlich deutlich seltener.

Was ist das Spannende gerade an der Steinzeit?

Ach, es ist halt uralt. Und wenn ich so einen Schaber, Bohrer oder mal ein Steinbeil finde, denke ich: Das hat vor dir wahrscheinlich vor fünf- oder sechstausend Jahren das letzte Mal ein anderer Mensch berührt. Natürlich gibt’s da auch viele Fallen, in die man reinstoplern kann. Im Mittelalter, offiziell war man ja längst Christ, gab es auf dem Land vor allem im Norden noch die Sitte, beim Ackern gefundene Steinbeile unter Türschwellen zu vergraben, die Klinge himmelwärts. So wollte man alles Böse fernhalten. Steinbeile waren die Abzeichen des alten nordischen Gottes Thor, der war vielen Menschen lange Zeit noch deutlich näher als der christliche Gott. Damals hätte man wegen der Nachfrage nach diesen Glücksbringern durchaus sein Geld verdienen können als Fälscher von Steinbeilen. Ein wenig Übung, ein wenig Geschick und Geduld – und fertig ist das Steinbeil. Vielleicht habe ich solche Fälschungen, die aber ihrerseits eine spannende Geschichte zu erzählen haben, in meiner Sammlung.

Freuen sich deine Kinder schon darauf, eines Tages deine Sammlung zu erben?

Ich glaub nicht. Vielleicht schleppen die das dann zu Bares für Rares, wer weiß. Ein paar Euro würde das schon bringen.

Sind das nicht unwiderbringliche Kulturgüter aus grauer Vorzeit? Wäre das nicht eher was für ein Museum?

Dafür wiederum sind die Funde nicht spektakulär genug. Von dem Zeug, was ich so in Jahrzehnten aufgelesen habe, sind die Museumsmagazine voll. Außerdem hat das Thema Steinzeit nicht gerade Konjunktur im Zeitalter der Digitalisierung. Da verachtet man das tradionelle und dreckige Handwerk eher. Wobei man vielleicht schneller wieder am Anfang stehen könnte als man denkt – die digitale Zivilisation ist mordsmäßig anfällig für Störfälle. Glücklich, wer dann gerade noch ein Steinbeil hat.

Also wird deine Sammlung dereinst verwaisen?

Ich plane für den Tag, an dem ich das Ende nahen fühle, eine Bootstour. Schlauchboot, Ruderboot, Segelboot, Angelkutter, Luftmatratze – irgendwas. Und dann schmeiß ich ganz weit draußen alles über Bord.

Wär das nicht schade? Außerdem: Stell dir die Verwirrung vor, die künftige Archäologen befallen würde, wenn die in 100 oder 200 Meter Wassertiefe Sachen finden, die da eigentlich nicht hingehören.

Ja, die Theorien über in Rekordzeit ansteigende Meeresspiegel würden rasant an Zulauf gewinnen… Aber mal im Ernst: Eigentlich geht es beim Sammeln auch gar nicht so sehr darum, Dinge anzuhäufen. Es geht darum, Erfahrungen zu sammeln. Wissen auch – je tiefer man eindringt, desto mehr erfährt man. Und natürlich weckt das Sammeln uralte Triebe in uns. Im Grunde ist ja auch jeder heute lebende Mensch immer noch ein Jäger und Sammler so wie unsere Vorfahren. Das steckt unausrottbar in uns. Hinzu kommt, dass man über das Sammeln auch andere Sammler kennenlernt. Man muss nicht, aber man kann. Da ist dann natürlich oft eine Konkurrenzsituation, wenn beide auf das Gleiche heiß sind. Aber im Grunde ergänzt und hilft man sich unter Sammlern, man tauscht und gibt Tipps weiter. Ist also durchaus ein soziales Hobby.

Es gibt Sammler, die ruinieren sich für ihr Hobby.

Ja, kommt vor. Wenn man Stradivaris oder alte Autos sammelt, kann das ins Geld gehen. Je größer die Sammelobjekte, desto größer wird irgendwann außerdem das Platzproblem. Deshalb sollte man eigentlich nur kleine Dinge sammeln.

 

Bild: Redaktion

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.

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