Heimatmuseen zeigen Fundstücke aus der jeweiligen Region und vermitteln so einen Eindruck…
Nicht nur menschliche Behausungen können zur Ruine werden – auch Tempel und Gotteshäuser sind nicht gegen den Verfall gefeit. Aus der Abwesenheit des Göttlichen resultieren sehr spezielle Ruinen, über die nachzudenken sich lohnt. Doch nicht immer braucht es die Ruine. Auch in menschenleeren Landschaften überkommt einen zuweilen das Gefühl, dass hier mal etwas war – oder künftig sein könnte.
Kulissen
Nach außen stellen sich viele christliche Gotteshäuser heute wohl prächtiger dar als jemals zuvor in ihrer Geschichte – von kundiger Hand mit modernsten Methoden und erheblichen Mitteln saniert, sind sie ein Anziehungspunkt gleichermaßen für Kunsthistoriker wie für den Massentourismus. Doch der Gott, zu dessen Ehren sie einst errichtet wurden, ist längst ausgezogen. Man muss nicht mit Nietzsche von Kirchen als den „Grabmälern Gottes“ sprechen, „Denkmäler Gottes“ würde ausreichen. Das zu beklagen, wäre müßig. Schließlich ist die Welt voll von alten Kultstätten, die seit Jahrtausenden keinen Gott und keine Götter mehr gesehen haben. Im kulturmüden Europa halten solche Kultstätten heute vor allem als fein herausgeputzte Kulissen her für eine Lebensform, die sich in den Restbeständen der alten europäischen Kultur behaglich eingerichtet hat und dort gleichsam einen windgeschützten Ort sucht, während draußen die Sturmwinde diverser Zeitenwenden in Orkanstärke heulen. Doch Götter gehen nicht nur, sie kommen auch. Gerade in bewegzen Zeiten.
Im Haus des Seins
Martin Heidegger, der gegen Ende seines Denkweges nur einem Gott noch die Rettung des Menschen vor den zerstörerischen Folgen der entfesselten Technik zutraute, stand als Philosoph der Religion fern. Im Göttlichen erblickt der Denker nicht die zur Dogmatik erstarrte Epiphanie eines höchsten Wesens, sondern das, was sich der Verfügungsgewalt des Menschen entzieht. Wahrheit etwa besitzt man nicht, man hat sie niemals sicher – Wahrheit ereignet sich, sie entzieht sich, ist instabil, flüchtig, wandelbar und nichts, was sich festhalten und im Sinne der Gralshüterei wie ein kostbarer Schatz verteidigen ließe. Wahrheit ereignet sich im Denken ebenso wie im Kunstwerk und in der dichterischen Sprache.
Heidegger hat Sprache als Haus des Seins bezeichnet – als Ort also, an dem sich Wahrheit im Wort ereignet. Nicht nur der gemauerte Tempel, auch die Sprache und mit ihr das Sprechen ist gleichsam ein Ort des Göttlichen. Mit Blick auf der Sprachverfall unserer Tage fällt es natürlich besonders leicht, hier das Ruinöse zu entdecken: Schlampigkeiten, Sinnentleerungen, Missbrauch der Sprache für Lügen und Manipulationen aller Art stellen eine ungeheure Verletzung und Entweihung dar – schlimmer noch, als die Umwandlung des Kölner Doms in ein Bordell es sein könnte. Wie sollen sich hier, am entweihten Ort, jemals wieder Götter niederlassen? Heidegger hat der zerstörten Sprache seiner Zeit die dichterische Sprache und die Sprache des Denkers entgegengesetzt und so einen neuen Tempelbezirk vorbereitet, der der Wahrnehmung der meisten Zeitgenossen allerdings entzogen und unzugänglich bleiben wird: Zu kompliziert, zu verschroben, zu abgehoben wirken des Denkers Gedankens auf die meisten Heutigen.
Neue Tempel, neue Götter
Das Göttliche kann vielerlei Gestalt annehmen. Auch die der mythologischen Gegenspieler. Ernst Jünger sah das Zeitalter neuer Titanen heraufdämmern. Mit den Titanen erhebt sich Gäa, die Erdmutter, der Urgrund und die fürchterliche Urgewalt allen Seins. Diese Erhebung vollzieht sich in der Entfesselung elementarer Kräfte durch die Technik, durch den Ausgriff ins Molekulare und Atomare wie ins Kosmische. Dass die Menschen sich dabei als allmächtige Herren des Geschehens wähnen, gehört zum Spiel – als Kinder der Erde vollziehen sie lediglich deren Willen.
Wie sehen die Kultstätten dieser neuen globalen Religion aus? Kraftwerke etwa sind Tempel, so wie Tempel Kraftwerke sind – Stätten energetischer Transformationen. Auch Laboratorien, in denen neue Lebensformen entstehen, können als Kultstätten einer neuen Religion verstanden werden – die extreme Nüchternheit, Rationalität und Sterilität solcher Einrichtungen gehören zum Stil. Auf individueller Ebene hat Jünger gezeigt, dass auch der Umgang mit Drogen eine Annäherung ans Elementare bringen kann. Hier wird – je nach Präferenz – das Wohnzimmer oder der Hain zur Kultstätte. Kraftwerke, Gentechniklabore, Weltraumbahnhöfe und Rauschzustände als Kristallisationspunkte eines neuen Göttlichen – ein starkes Stück für alle Bewahrer des Religiösen alten Zuschnitts. Aber kamen neue Götter nicht schon immer im neuen Gewand?
Vielleicht werden künftige Götter aber gar keine Tempel benötigen – Tempel sind Eingrenzung und Ausgrenzung zugleich, der heilige Bezirk ist von Ozeanen des Profanen umgeben. Wie aber, wenn die ganze Erde zum heiligen Bezirk werden würde? Göttliches zeigt sich in der Natur selbst.
Man sollte auf einiges gefasst sein.
Ruinenspiele
Manch einer hat vielleicht auch schon im Klimakult unserer Tage die Grundzüge einer neuen Religion sehen wollen. Richtig ist, dass wir es mit einen Büßerkult zu tun haben. Das Geißlertum, das schrille „Kehret um! Tuet Buße! Das Ende naht!“ ist unüberhörbar. Diesen Hobby-Büßern aber fehlt alles. Sie und ihr müdes Straßentheater in die Nähe von etwas Religiösem oder gar Göttlichem rücken zu wollen, wäre verfehlt. Freilich hat, was die Anhänger des Klimakultes unserer Tage aber nicht ahnen, tatsächlich auch ein Klimawandel göttliche Dimension: Sei es als die Einsicht, dass der Mensch nunmehr den Göttern gleich geworden ist und das Klima und mit ihm die Voraussetzungen seiner Existenz auf Erden verändern kann; sei es als die Erkenntnis, dass das Klima sich eben doch im Guten wie im Bösen jedem menschlichen Tun entzieht und weder zu verändern noch gar zu schützen ist (hier wäre der Klimaschutzgedanke die wahre Blasphemie). Die letzten großen Klimaveränderungen auf diesem Planeten brachten uns die Eiszeiten – und mit ihnen, folgt man dem germanischen Mythos, alles menschliche Leben auf der Erde: Die Urkuh Audhumbla leckte die ersten Menschen aus vereisten Steinen heraus. Ein Klimawandel wurde so zum Kulturstifter.
Wenn wir herausfinden wollen, aus welcher Richtung die neuen Götter kommen können, wären Heidegger, Jünger und der Mythos keine Wegweiser, denen blind zu folgen wäre, wohl aber Hinweisgeber. Wenden wir uns ab von den Ruinen vergangener Kulte, dort ist nichts mehr zu erwarten. Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Orte, an denen wesentlich gesprochen wird, an denen Kunst entsteht, an denen das Elementare selbst zur Gestalt und Leere zu neuer Fülle wird.
Foto: Lutz Meyer
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