Sprache fließt, Sprache strömt, Sprache bewegt – so auch das Wasser. Sprache…
Gestern haben wir in Laer einen Abend veranstaltet zum Thema „Beginn von Ackerbau und Viehzucht in der Jungsteinzeit“ – Jungsteinzeit nicht global betrachtet, sondern regional, also mit Blick auf den nord-/nordwestdeutschen Raum. Wir informierten unsere Gäste über die ersten Kulturpflanzen, die Anfänge der Tierhaltung, den Werkzeuggebrauch, die nicht immer rosigen Lebensumstände und natürlich auch über die kulinarischen Gepflogenheiten.
Die Anfänge
Hier im Münsterland kam die Sesshaftigkeit in Verbindung mit landwirtschaftlichen Tätigkeiten erst ab ungefähr 4.000 v. Chr. auf und damit relativ spät. In Süddeutschland hatte sich der Übergang vom Jäger- und Sammlerdasein zur gezielten Nahrungsmittelproduktion bereits rund 1.500 Jahre zuvor vollzogen, im sogenannten fruchtbaren Halbmond gar 6.000 Jahre früher – das hatte vor allem klimatische Gründe. Während im Orient um 10.000 v. Chr. ein optimales Klima – warm und feucht – herrschte, lag hier im Norden noch die vorerst letzte Eiszeit in ihren letzten Zügen.
Mildes Klima ermöglicht Landwirtschaft
Das Münsterland war am Ende der letzten Eiszeit unwirtliche Tundra – an Landwirtschaft war nicht zu denken. Die Menschen lebten hierzulande nomadisch als Jäger und Sammler. Das änderte sich erst, als das Klima über längere Zeiträume deutlich milder wurde. Für den Start gab es sicher einige kulturelle Impulse aus südlich gelegenen Regionen, in denen man bereits seit einiger Zeit erfolgreich Ackerbau und Viehzucht betrieb. Aus der Zeit der Sesshaftwerdung hier in Nordwestdeutschland stammen übrigens auch die großen Megalithgräber (siehe hier, hier, hier und hier), die von Drenthe über das Emsland bis nach Schleswig-Holstein, Dänemark, Südschweden und Mecklenburg noch heute an die ersten Bauern erinnern. Man spricht mit Blick auf die sehr speziell geformte Keramik jener Zeit auch von der Trichterbecherkultur.
Karg oder köstlich?
Während die nacheiszeitlichen und mesolithischen Jäger und Sammler sich hauptsächlich vom erjagten Wild (je nach Gegebenheiten von Fischen und Muscheln) ernährten und auch Beeren, Pilze, Nüsse und ausgegrabene Knollen sowie die Samen mancher Wildgräser nicht verschmähten, baute der neolithische Bauer seine Nahrung überwiegend selbst an. Emmer, Einkorn, Gerste, Buchweizen, Wurzelgemüse und wahrscheinlich auch Lauch standen auf seinem Speiseplan. Hinzu kamen Mohn und Lein für die Gewinnung von Öl, Lein auch für Pflanzenfasern (Mohn womöglich mit Zweitnutzen als Droge). Die Auswahl an Würzmitteln war beschränkt.
Würzmittel
Neben Salz kannte man in diesen Breiten wohl schon Dill, Kümmel und Petersilie. Honig zum Süßen war ebenfalls bekannt. Thymian mag als Sandthymian oder Feldthymian schon heimisch gewesen und als Würzkraut verwendet worden sein. Das Fleisch der ersten Nutztiere (neben Schaf, Ziege und Rind natürlich auch das Schwein) lieferte tierisches Fett und Eiweiß.
Und natürlich gab es schon sehr früh Bier, das sorgte auch für eine gute Würze – manch einer behauptet gar, dass das Bierbrauen und nicht das Brotbacken oder Eintopfkochen der eigentliche Sinn und Zweck des Getreideanbaus gewesen sein dürfte. Geräuchert wurde bereits in den Höhlen der Altsteinzeit – das Räuchern konserviert und verleiht dem Fleisch wie auch dem Fisch kräftige, wohlschmeckende Aromen.
In den natürlich auch nicht ganz originalgetreuen Schüsseln befinden sich von links nach rechts im Uhrzeigersinn Buchweizen, Gerstengraupen, Linsen und Kümmel.
Warum die sogenannte Paläodiät rein gar nichts mit der Steinzeit zu tun hat
Um einen kleinen Eindruck zu bekommen, wie so etwas wohl geschmeckt haben mochte, kochten wir einen Steinzeiteintopf – nicht ganz stilecht, denn der Einfachheit halber verwendeten wir gestern Abend keine Keramik, sondern einen rustikalen eisernen Bräter und damit ein Utensil, das erst einige Jahrtausende später zur Verfügung stand.
Wie es geschmeckt haben könnte? Einfach mal nachkochen: Durchwachsenen Speck auslassen, gehacktes Wurzelgemüse (Petersilienwurze, Möhren, Pastinake), Lauch, Linsen, Gerstengraupen und Buchweizen im ausgelassenen Speck anbraten, mit Salz, Kümmel und Petersilie würzen und mit Wasser (wahlweise Bier) aufgießen. Speckschwarten für den guten Geschmack mit garen lassen. Wer mag, kann ein paar klein geschnittene Äpfel oder Trockenpflaumen dazugeben – beide Obstsorten gab es hier damals immerhin in der Wildform.
Wie man sieht, hat das Ganze nichts mit der Dekadenz der Paläodiät (auch Paleo genannt) zu tun. Paläodiät – etwa in der Kombination von feinstem Rinderfilet aus Argentinien oder den USA, Wildlachs aus schottischen Flüssen, exotischen Nüssen aus Kolumbien und unter Glas erzeugten Beerenfrüchten – ist der perverse Luxus von Leuten, die sonst schon mit allem durch sind. Wer ein einigermaßen authentisches Lebensgefühl in seiner Steinzeitküche haben will, sollte eins nicht vergessen: Damals war der Mangel allgegenwärtig. Die Steinzeitküche war zu keinem Zeitpunkt eine Küche des Überflusses. Man kochte, was man mühsam dem Land abgerungen oder unter Gefahr im Wald erjagt oder auf dem Meer gewonnen hatte. Nicht schnell Besorgtes aus dem Feinklostladen oder dem Supermarkt. In den Topf kam, was gerade da war. Eine Speckschwarte war an den meisten Tagen schon Luxus.
Fertig. Sättigt, ist nahrhaft und schmeckt besser als es aussieht.
Das alles gab es damals nicht
Man sieht: So sehr hat sich der Eintopf in den letzten 6.000 Jahren gar nicht verändert. Man muss nur einiges weglassen, was erst später zu uns gekommen ist: Kartoffeln, Tomaten, Gemüsepaprika, Zwiebeln, Knoblauch, die meisten mediterranen Kräuter, Gewürze wie Pfeffer, Paprika und Chili.
Auch der vermeintlich urdeutsche Kohl wurde erst später kultiviert, vermutlich in der römischen Eisenzeit. Der Schärfe spendende Meerrettich kam wohl erst im 12. Jahrhundert aus dem Osten zu uns. Wein war auch noch unbekannt und allenfalls als seltenes und teures Handelsgut präsent.
An Milch und Milchprodukte mussten unsere Vorfahren sich übrigens erst langsam gewöhnen. Das klappte aber irgendwann – und dann konnte man den Eintopf auch mit Sahne, geriebenem Käse oder Joghurt verfeinern.
Fotos: Lutz Meyer
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