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Natürlich beschäftigen wir als Mitglieder der schreibenden Zunft uns intensiv mit der schreibenden KI: Ist sie unsere Konkurrenz? Wird sie uns am Ende gar arbeitslos machen? Oder können wir uns ihrer gar – aus hier nicht näher zu erläuternden Gründen – bedienen? Die eigentliche Frage ist jedoch eine ganz andere.

Dahl, Swift und die KI

Ich hatte hier kürzlich auf Roald Dahl verwiesen, der in seinen Kurzgeschichte Der große Grammatisator eine Maschine erwähnt, die Romane schreiben kann – schneller und auch besser als jeder menschliche Autor. Diese Geschichte stammt aus dem Jahr 1953. Nun las ich nach langen Jahren wieder einmal “Gullivers Reisen” von Jonathan Swift, erschienen 1726, also vor fast dreihundert Jahren. Bereits zu dieser Zeit wird dort eine Apparatur beschrieben, die es ermöglicht, dass “der dümmste Mensch ohne Genie und Studien bei ganz geringen Unkosten und mäßiger Bewegung des Leibes beliebig viele philosophische, juristische, mathematische und theologische Bücher schreiben” kann. Der alte Weg sei einfach viel zu mühselig gewesen.

Texte erzeugende KI wie Chat GPT bedient genau diesen Reflex: Es ist bequemer, es nicht selbst zu tun. Natürlich war Swifts Apparatur ähnlich der Dahls noch grob mechanisch. Aber beide konnten Texte beliebiger Art erzeugen, ganz ohne jede Anstrengung. Das Thema scheint eine tiefe Sehnsucht des Menschen zu bedienen: die Bequemlichkeit in allen Lebenslagen. Vor allem dann, wenn es um geistige Anstrengung geht.

Es wird immer bequemer für uns

Es ist genau diese Bequemlichkeit, die dem Menschen noch einmal zum Verhängnis werden wird: Man muss keinen Acker mehr bestellen, keine Fische fangen, kein Wild jagen, um satt zu werden – es gibt alles im Supermarkt zu kaufen, Lieferdienste bringen es uns sogar nach Hause. Doch wir verlieren die Fähigkeit, Nahrung zu erzeugen und zuzubereiten. Eines Tages wird irgendeine KI-gesteuerte Apparatur uns das ganze Leben hindurch füttern müssen.

Man kann innerhalb weniger Stunden an jeden Ort der Welt reisen, ohne mehr als ein paar Schritte von Terminal zu Terminal zu tun. Doch wir verlieren die Fähigkeit, uns selbst über längere Strecken zu bewegen. Bald wird irgendeine eine andere KI-gelenkte Maschine uns durchs Leben tragen müssen.

Man nutzt für alles und jedes Hilfsmittel – doch wir verlieren jede Menge unserer über Jahrtausende erworbenen Fähigkeiten. Und jetzt nutzen wir Hilfsmittel eben auch für das Abfassen von Texten. Gewiss kann die KI das leisten. Und sie wird das in zwei oder drei Jahren sogar noch viel besser und noch schneller leisten können als heute – wir können es uns also noch bequemer machen.

Wir könnten unseren Geist verlieren

Die entscheidende Frage ist nicht die, ob wir unseren Broterwerb verlieren. Sondern ob wir unsere Fähigkeit zur geistigen Arbeit und damit unser Menschsein verlieren werden. Use it or lose it, heißt es nicht umsonst: Muskeln, die wir nicht nutzen, verkümmern. Hirnareale, die wir nicht nutzen, verkümmern ebenfalls. Man könnte einwenden, dass dieser Verlust in den meisten Fällen unbemerkt bliebe, doch ist das Thema zu ernst.

Vielmehr sollten wir alles daran setzen, uns auf die Dinge zu verlegen, in denen wir der KI auch künftig überlegen sind. Herauszufinden, welche das sind, ist bereits ein Akt geistiger Arbeit. Ein Hirnmuskelaufbautraining gewissermaßen. Es dürfte jeder Anstrengung wert sein. Ansonsten bliebe nur die Hoffnung auf einen langen, langen Blackout.

 

Foto: Lutz Meyer

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.

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