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Im Weinbau bezeichnet das Wort Terroir die Gesamtheit der natürlichen und teils auch kulturellen Einflüsse auf den Rebstock und damit auf die Beschaffenheit des Endprodukts Wein.

Zum Terroir zählen neben Sonneneinstrahlung auch die geologische Beschaffenheit des Bodens, die Geländestruktur, die Wärme bei Tag und Nacht, die Feuchtigkeit. Kurzum: alle Standortfaktoren. Für die einen liegt im Terroir der Schlüssel zum Verstehen eines Weines, für andere ist Terroir ein Hirngespinst. Ich neige der erstgenannten Möglichkeit zu. Doch nicht vom Wein soll hier die Rede sein, sondern vom Menschen. All das, was man beim Wein für charakterbildend und wesentlich hält, sollte auch für den Menschen gelten dürfen: Die Landschaft mit ihren Besonderheiten prägt den Menschenschlag.

 

Mensch und Terroir

Dieser Gedanke ist nicht neu. Man findet ihn in der Literatur, besonders eindrucksvoll in Adalbert Stifters Sammlung „Bunte Steine“ oder in den Romanen von Joseph Conrad, in denen mal das Meer, mal der Dschungel der Prägestempel ist. Man findet ihn aber auch in der Wissenschaft. Vor einigen Jahren fiel mir beim Stöbern in einem Antiquariat das Buch von Willy Hellpach „Geopsychische Erscheinungen“ in die Hände. Es handelt von nichts anderem als dem Einfluss natürlicher Standortfaktoren auf die Seele des Menschen. Das Buch stammt aus dem Jahr 1923.

 

Globalisierung und Einebnung der Unterschiede

Heute hat man sich längst abgewöhnt, so zu denken. Schließlich leben wir im Zeitalter der Globalisierung: Du bist heute hier, morgen dort – aber nirgendwo so richtig. Deine Wurzeln sind gekappt, deine Identität wird – ohne dass du selbst es merkst – langsam ausgelöscht. Natürliche und kulturelle Unterschiede der Herkunft verschwinden ebenso wie die des Charakters. Das wird nicht beklagt, im Gegenteil. Man möchte heute auch gar nicht mehr unterscheiden, denn alles gilt gleich viel. Natürlich herrscht, wo alles gleich viel gilt, letzten Endes nur die Gleichgültigkeit – die Gleichgültigkeit gegenüber dem Besonderen, dem Einmaligen, dem Staunens-, Liebens- und Erhaltenswerten.

Doch das ist egal. Denn all die Unterschiede stehen der planierraupenhaften Gleichmacherei der Globalisierung entgegen, die immer wieder aufs Neue euphorisch zu begrüßen das Hauptgeschäft unserer derzeitigen Eliten und ihrer Medien ist. Und so entsteht nach und nach ein einförmiger Menschenschlag, dem man nicht mehr anmerkt, auf welchem Boden er gewachsen ist. Noch können wir bei den letzten standorttreuen Vertretern des neuzeitlichen Menschentums hier und da Unterschiede beobachten: Ein Mensch, der auf den Sandböden der Heide aufgewachsen ist, ist anders als einer, der an einer felsigen Küste oder in einer Sumpfgegend groß geworden ist: Er denkt, fühlt, träumt, liebt anders. Ein Mensch aus einer Hochgebirgsregionen sieht die Welt mit anderen Augen als einer aus dem Mittelgebirge. Ein Dithmarscher hat einen anderen Blick auf die Dinge als ein Steppenbewohner, obwohl sowohl die Marsch als auch die Steppe einen freien Blick bis zum Horizont gewähren.

 

Der gepanschte Mensch

Und was geschieht, wenn man diese unterschiedlichen, regional geprägten Menschencharaktere kulturell und auch biologisch vermischt? Die Unterschiede verschwinden nach und nach zugunsten einer Art Normmensch. Genau das aber – die Beseitigung aller kulturellen und natürlichen Unterschiede – liegt im Interesse der Globalisierung: Gleiche Normen, gleiche Arbeits-, Produktions-, Konsumbedingungen auch noch im letzten Winkel dieses Planeten, freier Fluss der Arbeitskräfte, Bodenschätze, Produkte, Technologien, Finanzmittel. Unterschiedliche Sprachen und Kulturen, nationalstaatliche Grenzen und Regional- oder Individualcharaktere stören da nur.

Was in Huxleys „Brave New World“ noch das Ergebnis einer gespenstischen biotechnologischen Züchtung ist, schaffen wir mühelos selbst, indem wir freiwillig zum grenzenlos weltoffenen Weltbürger mutieren. Eigentlich war mit diesem Weltbürgertum früher dies gemeint: Man ist aufgeklärt, vorurteilsfrei, offen für neue Erfahrungen und für andere Kulturen. Doch genau diese anderen Kulturen werden zum Verschwinden gebracht, die Weltoffenheit gerät zur Eindimensionalität.

Um zum Bild des Weines zurückzukehren: Das Terroir wird zum Hirngespinst erklärt, unterschiedlichste Traubensäfte werden zusammengepanscht zu einem überall gleichen ungenießbaren Einheitsgesöff. Prost.

 

Foto: Lutz Meyer

 

 

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Gepanschte Menschen? Starker Tobak… Aber wenn man sich anschaut, was heute im Rahmen der Globalisierung abgeht, nicht ohne Berechtigung. Charakter, Identität geht verloren – aber doch oft gegen den Willen und die Zustimmung der solchermaßen Enteigneten.

    1. Sie bringen den Aspekt des Mitleidens ins Spiel. Das kann ich akzeptieren. Dennoch: Vom Ergebnis her kann ich es nicht korrigieren. Ist das jetzt schon “gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit”, wie ein heute gern erhobener Vorwurf lautet?

  2. Nein, Sie doch nicht. Aber man sollte nachdenken, ob es nicht eine Begrifflichkeit gibt, die diesen Aspekt des Erduldens deutlich zum Ausdruck bringt. Es geht ja im Grunde um in ihrer Identität durch die Gleichmacherei vergewaltigte und beschädigte Menschen. Vorschlag: Der enteignete Mensch – der um sein Eigenes gebrachte Mensch.

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