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Kennst du dieses seltsame Gefühl, das dich an manchen Orten befällt? Du spürst etwas, ohne es klar benennen zu können. Von diesem Ort scheint etwas auszugehen, was ihn zu einem einzigartigen macht. Vielleicht kennst du dieses Gefühl auch schon von anderen Orten. Diese Orte formieren sich in deinem Gedächtnis zu einer sehr speziellen Landkarte. Dieses Besondere, das der Ort ausstrahlt, geht über subjektive Erlebnisse hinaus. Die Anziehungskraft des Ortes erschöpft sich nicht in dem, was du hier vielleicht schon mal erlebt hast. Die Prägung durch den besonderen Ort ist überindividueller Natur.

Seelenorte

Bei Paul Devereux fand ich diese Aussage (aus dem Gedächtnis zitiert): “Der Ort ist eine gewaltige Fusion aus Selbst, Raum und Zeit”. Ein Kristallisationspunkt also, an dem alles zusammenläuft. Unsere Psyche kommt nicht mit uns erstmals auf die Welt. Jeder Mensch, der heute lebt, trägt in seinem Hirn die Geschichte der Menschwerdung mit sich. Wenn eine bestimmte Landschaft, ein Ort, in der Seele etwas zum Klingen bringt, mag das ein Akt des Wiedererkennens sein, eine Art Déjà-vu.

Devereux meint, dass es sich bei einem solchen Erleben um Orte handelt, die unseren Vorfahren als heilig galten – weil sich hier Heiliges, Numinoses, Göttliches zeigte, also eine überindividuelle Macht, die das Leben der Menschen bestimmte. Bestimmte Areale in unserem Hirn speichern dieses Erleben seit Urzeiten. Der Aufenthalt an solchen Orten weckt eine ferne Erinnerung in uns.

Der Verlust des Ortes

Die Tragik der Moderne besteht darin, dass immer mehr Landschaften überbaut und deformiert werden: Autobahnen, Städte, Gewerbeparks, Handymasten, Eisenbahngleise, Stromleitungen lassen die Landschaft vor uns in der Unkenntlichkeit verschwinden. Flugverkehr zerschneidet den Himmel über uns. Selbst der Blick aufs offene Meer bleibt heute meist an Offshore-Windparks, Bohrinseln und am regen Schiffsverkehr hängen. In dem Maße, in dem wir uns so die Sicht verstellen, verlieren wir den Ort und mit ihm den Kontakt zum Überindividuellen. Unser Selbst verarmt, die Seele verkümmert. Umso wichtiger ist es, so oft wie möglich das Freie aufzusuchen.

Lektüreempfehlung: Volker Mohr “Der Verlust des Ortes”, Paul Devereux “Der heilige Ort”

Foto: Lutz Meyer

 

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.

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