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Unwetter zieht herauf

Da braut sich was zusammen: Die Redensart meint zum einen das Unwetter als Naturphänomen – ein Gewitter zieht heran, erste Sturmböen fegen über Land und Wasser, Hagelwolken werden ihre zerstörerische Fracht bald über Feld und Flur und Parkplätzen entladen. Zum anderen bezieht sich die Redensart auf Ereignisse im wirtschaftlichen oder im politischen Raum – treten mehrere Vorzeichen oder Anzeichen einer katastrophalen Entwicklung zeitgleich ein, ist die Stunde der Auguren gekommen.

Da braut sich was zusammen? Niemand hört auf die Kassandrarufe!

Auguren prophezeien unheilvolle Entwicklungen wie den „perfekten Sturm“ – und mit ihm Zerstörungen und Umwälzungen historischen Ausmaßes. Nicht jede dieser Prophezeiungen ist unseriös. In manchen Fällen wie etwa den Ereignissen rund um die Corona-Pandemie erwiesen sich die schlimmsten Warnungen sogenannter Corona-Leugner im Nachhinein als überaus berechtigt.

Doch prophetische Warnungen werden meist nicht gern gehört. Es kommt zum Kassandra-Effekt: Kassandras Schicksal war es, dass sie zwar die Zukunft voraussagen konnte, ihr jedoch niemand Glauben schenkte. Im Falle Trojas erwies sich das als besonders verhängnisvoll – denn die Trojaner holten das später als trojanisches Pferd bekannt gewordene todbringende Geschenk der Griechen den warnenden Kassandrarufen zum Trotz in die Stadt und besiegelten so ihren Untergang. Ob es das trojanische Pferd in dieser Form jemals gab, ist zweitrangig. Der Mythos ist immer stärken als die Fakten.

Die Perspektive über das Unwetter hinaus

Jedes Unwetter richtet Zerstörungen an. Doch selbst das gewaltigste Unwetter ist irgendwann vorbei. Danach ordnen sich die Dinge neu, ganz gleich wie umfassend die Zerstörungen waren und wodurch sie ausgelöst wurden. Das ist in der Natur nicht anders als im Bereich der Zivilisation.

Das trifft auch auf den Bereich der Sprache zu. Bei allem, was der Sprache derzeit durch politische Regulierungswut angetan wird – sie wird diese Zerstörungen abstreifen und zu ihrer gewohntebn schöpferischen Kraft zurückfinden.

Das mag für diejenigen, die die volle Kraft eines Unwetters abbekamen, nur ein schwacher Trost sein – Kriege und Zusammenbrüche können ganze Kulturen in den Abgrund reißen. Doch überstehen diejenigen Kräfte, die ein zivilisatorisches Unwetter auslösen, dies selbst nicht. Ihr Untergang ist sicher, denn die ordnenden Kräfte sind stets stärker als die Kräfte des Chaos.

Ob in der Zivilisation dieselbe ordnende Kraft wirkt wie in der Natur? Es spricht einiges dafür. Dem zivilisatorischen Winter ist bislang noch immer ein Frühjahr gefolgt, in dem all das Gute, zu dem der Mensch imstande ist, wieder grünte und aufblühte.

Foto: Heta Meyer

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.