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Herzenssache Danke sagen

Die Leute sind es unendlich leid, jeden Tag aufs Neue angelogen zu werden. Angelogen und betrogen werden sie ständig. Ganz besonders häufig von Politikern, Journalisten und sogenannten Experten. Selbstverständlich und pausenlos von der Werbung. Und oft auch von Chefs, Kunden, Auftraggebern, Kollegen. Und selbst in der Paarbeziehung und in der Familie geht es wahrscheinlich nicht immer ehrlich zu. Nur allzu verständlich daher die Sehnsucht nach einer ehrlichen, unverstellten, von Herzen kommenden Sprache. Doch gibt es die? Und wenn ja: Wie sieht sie aus?

Der andere Weg

Begriffe wie „Herzenskommunikation“, „Herzenssprache“, „Achtsame Sprache“ oder auch die sogenannte „Gewaltfreie Kommunikation“ legen nahe, dass es eine Sprache gibt, die bewusst nicht manipulieren und nicht verletzen möchte. Doch leistet sie das wirklich?

Die meisten Texte, die ich zum Thema Herzenskommunikation, achtsames Sprechen oder Herzenssprache gelesen habe, zeichnen sich vordergründig durch eine menschenfreundliche, wertschätzende Sprache aus. Sie signalisieren Offenheit für mein Anliegen, für meine Persönlichkeit, meine Probleme und meine Macken. Sie sprechen von „lichten Räumen echter Begegnung“, der „Einzigartigkeit unseres Wesens“, sind großzügig im Umgang mit Adjektiven wie friedvoll, wahrhaftig, tiefgründig, mutig und berührend schön, reden von „leuchtenden Räumen liebevoller Verbundenheit“ und „herzerfüllenden Begegnungen“. Doch ist all diese sprachliche Überschwänglichkeit wirklich authentischer Ausdruck spontaner Herzensäußerung?

Zuviel Zuckerguss macht ungenießbar

Es geht um mehr als nur um Sprache. Es geht um ein liebevolles Miteinander – angesichts all der Gewalt und des Hässlichen, das uns im Alltag umgibt, im Grunde doch eine schöne Vision. Andererseits wirken manche dieser Texte auf mich wie Backwerk, das unter reichlich Zuckerguss fade schmeckt oder gar rabenschwarz verbrannt ist. Es gibt einen Grad der Süße, der aufdringlich ist und mich misstrauisch stimmt – und so im Grunde das genaue Gegenteil von dem erreicht, was der Text ursprünglich intendiert: Ich öffne mein Herz nicht, sondern gehe intuitiv auf Abstand, weil ich den Eindruck habe, dass man mich einlullen will.

Das aber heißt: Die angeblich ganz andere Sprache, der vorgeblich ganz andere Umgang ist hochgradig manipulativ. Ob dahinter immer böse Absicht steckt, möchte ich nicht beurteilen. Man sollte sich dieser möglichen Wirkung aber stets bewusst sein, wenn man eine „Herzenssprache“ sprechen möchte. Doch wie steht es um die „Gewaltfreie Kommunikation“, die doch eine echte Methode zu sein beansprucht?

Wie gewaltfrei ist die „Gewaltfreie Kommunikation“?

Oft läuft Kommunikation nach dem Muster ab: Ich höre oder lese etwas, das mir nicht gefällt. Ich reagiere, indem ich meinem Missfallen auf mehr oder minder aggressive, laute Weise Ausdruck verleihe. Das geschieht schnell und spontan – und hat den Effekt, dass eine weitere Kommunikation nicht zustande kommt. Das eigentlich offene Miteinanderreden wird zum kurzen Schlagabtausch.

Die Methode der gewaltfreien Kommunikation erkennt das Problem. Sie setzt an die Stelle der vorschnellen Bewertung die Beobachtung: Ich lasse etwas auf mich wirken, reagiere nicht sofort. Ich enthalte mich zunächst des Urteils. In einem zweiten Schritt erkunde ich stattdessen, was ich selbst bei dieser Beobachtung fühle. Dies sollte ich der anderen Person mitteilen – vielleicht hat sie ja gar nicht beabsichtigt, mich vor den Kopf zu stoßen und ihr wird sofort bewusst, dass ihr Handeln falsch oder unbedacht oder sie vielleicht ungerecht in ihrer Äußerung war. Dem schließt sich die Mitteilung meines Bedürfnisses an, das hinter meinem Gefühl steht: Was möchte ich eigentlich? Zum Abschluss formuliere ich eine konkrete Bitte an mein Gegenüber, bringe also das, was ich mir von dem anderen wünsche, auf den Punkt.

Das alles klingt sehr strukturiert und vernünftig. Doch leider kann ich diese Methode auch sehr bewusst für manipulative Zwecke missbrauchen. Indem ich meinem Gegenüber sanftmütig, verständnisvoll und nicht aggressiv begegne, sondern ihm schildere, was sein Handeln und Sprechen mit mir macht, in mir anrichtet, bringe ich es in eine Position der Schwäche: Mein Gegenüber hat mir etwas angetan, soll sich nun mehr oder minder betroffen zeigen und sich schuldig fühlen und sein Herz für meine Bedürfnisse öffnen. Das wird nicht bei jedem Charakter funktionieren und muss auch nicht notwendig so ablaufen, doch besteht die Gefahr, dass eine Methode, die dezidiert gewaltfrei sein möchte, Gewalt auf subtile und geradezu hinterhältige Weise ausübt.

Die kommende Aufgabe

Eine wirklich ehrliche Sprache, die ein unverstelltes Miteinander ermöglicht, wird vermutlich nicht so einfach als Methode zu erlernen sein, sondern bedarf der ständigen Einübung. Zu empfehlen ist auf jeden Fall der Verzicht auf den übermäßigen Gebrauch von Adjektiven. Ehrliche Sprache sollte eine einfache und schlichte sein und auch das Schweigen zulassen. Und derjenige, der sie nutzt, muss sie auch leben – eine Sprache ohne Ethos ist notwendig eine falsche Sprache. Mehr zu diesem Thema bei späterer Gelegenheit.

 

Foto: Lutz Meyer

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.