Plötzlich ist es da: Das Ereignis, mit dem niemand ernsthaft gerechnet hatte…
Wer Schinken sagt, will betrügen: Ich persönlich gehe davon aus, dass minimal 98 % dessen, was in deutschen Fleischereien, an Supermarkttheken und in den Grabbelregalen der Discounter sowieso als irgendeine regionale Schinkenspezialität angeboten wird, ein gesichtsloses, denaturiertes Allerweltsprodukt aus computergesteuerten Klimakammern ist. Je nach Programmeinstellung kommt es als würziger Seeluftschinken, rauchiger Schwarzwaldschinken oder mediterrane Schinkenspezialität frech fehldeklariert daher. Dabei geht es auch anders. Ganz anders. Natürlicher und ehrlicher.
Einer, der es wirklich anders macht
Arnd Müller ist angetreten, die Ehre des deutschen Schinkens zu retten. In seinem Haus im ammerländischen Apen wird vom Erdgeschoss bis unters Dach die althergebrachte Technik der Schinkenproduktion regelrecht gelebt. Seine Vorfahren begannen 1748 an genau dieser Stelle mit der Schinkenproduktion, das Wort „althergebracht“ ist also nicht übertrieben. Nach dem Einsalzen von Hand (verwendet wird ausschließlich Luisenhaller Pfannensiedesalz) und dem Räuchern über glimmender Buche beginnt die eigentliche Reifezeit des Schinkens. Mindestens 17 Monate, gern aber auch länger reift so ein Schinken bei Arnd Müller, bevor er in den Verkauf gelangt. Die Reifung findet komplett ohne den Einsatz energieintensiver Technologie statt. Auf die kann Arnd Müller getrost verzichten, weil die Architektur des Hauses eine Reifung erlaubt, die ausschließlich auf den Naturgesetzen der Thermik beruht und der Zufuhr Ammerländer Nachtluft. Klar, dass so etwas nicht als Massenproduktion geht. Die Jahresmenge beläuft sich auf einige Dutzend Schinken. Man muss also schon großes Glück haben, wenn man ein Stück davon erwerben kann.
Speck: Kein Abfall, sondern Geschmacksträger
Auffällig ist der hohe Speckanteil. Der Konsument von Supermarktschinken hat sich angewöhnt, Fett für Abfall zu halten und abzuschneiden. Doch nichts könnte verkehrter sein, ist doch Speck der wichtigste Geschmacksträger überhaupt (und im Übrigen auch viel gesünder als sein Ruf). Deshalb sollte man die Speckschicht dieses Schinkens auch nicht etwa als Bratfett auslassen, sondern zusammen mit dem Rest genießen. Natürlich verlangt so ein Schinken auch eine besondere Form des Anschnitts – nicht in ganzen Scheiben wird er angeboten, sondern mit einem sehr scharfen Messer spanweise und keinesfalls zu dick abgetrennt. Im Mund entfaltet dieser Schinken eine unglaublich komplexe Fülle von Aromen. Anders als gewöhnlicher Schinken ist er weder gummiartig noch faserig, sondern zergeht förmlich auf der Zunge.
Die ganze Kette muss stimmen
Natürlich wird das Fleisch auch nicht vom normalen Supermarktschwein geliefert, sondern kommt ausschließlich vom Bunten Bentheimer aus der Region – einer alten Rasse, die fettreicher ist als das arme deutsche Turbomastschwein. Im Gegensatz zum Normschwein ist der tierische Schinkenlieferant von Arnd Müller auch mindestens überjährig. Wer mag, kann Arnd Müller in seinem Apener Schinkenêum – einer Mischung aus Produktionsstätte und working museum – besuchen, gegen einen geringen Obolus eine Kostprobe nehmen und mit etwas Glück sogar ein Stück authentischer Schinkenkultur erwerben: www.schinkenmuseum.de
Foto: Lutz Meyer
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