Heimatmuseen zeigen Fundstücke aus der jeweiligen Region und vermitteln so einen Eindruck…
Im Stadtmuseum Münster befinden sich einige detaillreich ausgeführte Modelle, die dem Besucher die Entwicklungsstufen der Stadt Münster seit ihren allersten Anfängen im 9. Jahrhundert bis hin zur Nachkriegszeit sehr anschaulich vor Augen führen. Eines meiner Lieblingsmodelle ist das von 1533 – also kurz bevor die Wiedertäufer über die Stadt hereinbrachen.
Mauern geben Sicherheit gegenüber dem Außen
Es zeigt eine Stadt, die von Wassergräben und doppelten Steinmauern mit Bastionen, Türmen und Toren umgeben ist. Eine solche Stadt ist Sinnbild des Abgeschlossenen – das Außen ist eindeutig vom Innen abgegrenzt. Wer von außen hereinwill und nicht durch das Tor hineingelassen wird, kann höchstens versuchen, die Gräben, Wälle und Mauern zu überrennen. Dass das nicht einfach ist, erwies sich 1535, als eine gewaltige fürstbischöfliche Übermacht versuchte, Münster mit militärischen Mitteln von den Wiedertäufern zu befreien. Man scheiterte. Erst als die Besatzung durch Hunger am Ende ihrer Kräfte war, gelang es – und auch dann nur durch einen Trick – der fürstbischöflichen Streitmacht, die Stadt zu nehmen. Wer in ihren Mauern lebt, ist also vergleichsweise sicher vor äußeren Feinden, jedoch auf Gedeih und Verderb mit denen eingeschlossen, die einem auch nicht immer freundlich gesonnen sind.
Mauern führen zu Zwang nach innen
Sicherheit und Schutz werden also erkauft durch eine gewisse nicht nur räumliche, sondern auch geistige Enge. Es besteht ein hoher Anpassungsdruck – wer zur damaligen Zeit nicht auf Seiten der Wiedertäufer stand, tat gut daran, sich dies nicht anmerken zu lassen – oder aber die Stadt beizeiten zu verlassen. So erweist sich die sichere, gehegte Stadt zugleich als Käfig, in dem man gefangen ist.
Steinerne Mauern und geistige Mauern
Einige Zeit, nachdem die Wiedertäufer besiegt worden waren, wurden die Befestigungsanlagen Münsters noch einmal ausgebaut und der inzwischen weiter fortgeschrittenen Waffentechnik angepasst. Doch spätestens seit dem 18. Jahrhundert erwiesen sich Gräben, Wälle und Mauern als hilflose Versuche, äußere Feinde abzuwehren. Die Stadt verlor ihre konkrete Schutzfunktion, ihre Grenzen wurde durchlässig, die nutzlos gewordenen Mauern standen der städtebaulichen Entwicklung im Wege und wurden bis auf wenige Ausnahmen niedergelegt.
Was hingegen bis heute blieb, waren die geistigen Mauern, die – nachdem die räumliche Enge abhanden gekommen war – für ein neues Gefühl der Sicherheit und Zugehörigkeit einerseits, aber ebenso für ein neues Gefühl der Beschränktheit und des Zwangs zur Anpassung andererseits sorgten. Eine Stadt wie Münster etwa war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein katholisch geprägt – wer dort lebte, tat gut daran, sich dem zu fügen oder wenigstens nicht offen zu widersprechen. Heute folgt Münster weitaus weltlicheren Glaubenssystemen mit ähnlicher Inbrunst und erzeugt neuen Anpassungsdruck. Mögen die steinernen Mauern auch fallen, die geistigen währen ewig.
Foto: Lutz Meyer
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