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Was macht die Landwirtschaft? Sie produziert Lebensmittel. So hätten man Mitte letzten Jahrhunderts noch mit Fug und Recht antworten dürfen: Was der Landwirt produzierte, kam nach einem meist kurzem Verarbeitungsprozess auf den Teller des Verbrauchers. Vom Acker zur nahen Mühle, von der Mühle in die Backstube – fertig war das Brot. Die Milch wurde von der örtlichen Meierei abgefüllt, im Umkreis vermarktet oder nach traditionellen regionalen Produktionsweisen zu Quark, Käse oder Butter verarbeitet. Die Wege waren auch hier meist kurz – es sei denn, man verlangte ausdrücklich nach Spezialitäten anderer Regionen.

Beim Gemüse dominierten wie beim Obst noch regionale Sorten – niemandem wäre es eingefallen, Ackerfrüchte quer durchs Land, durch Europa oder gar über den Globus zu transportieren – von Ausnahmen abgesehen. So hielten sich auch hier die Besonderheiten. Ähnlich beim Fleisch: Schweine, Rinder, Geflügel – überall gab es noch die alten Landrassen, im Norden und Osten andere als im Süden und Westen. Hier und da wurde züchterisch veredelt, doch das bereicherte die Vielfalt nur und schränkte sie nicht ein. Das Schwein blieb wie eh und je mit einer schönen Speckschicht ausgestattet. Und die Rinder passten in Körperbau und Charakter zu der Landschaft, in der sie lebten.

Die Signatur des Besonderen

Genau das ist der entscheidende Punkt: Ob Gemüse oder Tier, ob Milchprodukt oder Backwerk – all das trug einmal die spezielle und einmalige Signatur der Landschaft, der dies alles entstammte. Ganz so wie man auch beim Wein unterscheidet zwischen Anbaugebiet, Lage und Terroir.

Doch was man dem Wein zubilligte, sprach man den Grundnahrungsnahrungsmitteln ab. Sie hatten standardisiert zu sein, uniform – und austauschbar. Man sah ihnen ihre Herkunft zunehmend weniger an. Und wo man es am Namen auf dem Etikett noch erkannte – spätestens beim Kontakt mit der Zunge verlor es sich, das Gespür für die Herkunft.

Damit ging nicht nur eine reiche geschmackliche Vielfalt verloren, sondern auch die in Jahrhunderten gewachsene Unterschiede in Zucht, Anbau und Produktion. Ganz nebenher verloren auch die Landschaften ihr typisches Gepräge – zwar bleiben Meere einstweilen Meere und Berge Berge, doch das Typische der Lebensweise im Allgemeinen und der Lebensmittelerzeugung im Besonderen verschwand bis auf kleine Restbestände. Doch wohin verschwand all das?

Die Landwirtschaft produziert keine Lebensmittel mehr – sie ist nur noch Zulieferer für die Industrie

Nun, wir wissen es: Es verschwand in die Laboratorien der Lebensmittelchemiker, in die industriellen Produktionsanlagen, in eine auf Einheitlichkeit getrimmte Geschmacksdressur. Der Geschmack wurde uns ausgetrieben. Und mit ihm der Sinn für das Besondere, Typische, Unverwechselbare – für Heimat. Über die tieferen Hintergründe mag man trefflich spekulieren. Wir begnügen uns mit der Feststellung, dass der uniforme Geschmack für Marketingstrategen und Produktionsplaner einfach leichter zu handhaben ist.

Dass man zur Herstellung des uniformen Geschmackserlebnisses nicht nur ein paar Dinge weglässt – eben das Typische der Herkunftsregion –, sondern auch ein paar Dinge hinzufügt, wird gern vergessen. Hinzugefügt werden diverse Chemikalien, die teils der Haltbarkeit, teils dem Farberlebnis, teils dem Mundgefühl, vor allem aber der Herstellung des Einheitsgeschmacks geschuldet sind. Außerdem, man darf es nicht vergessen, geht es auch hier um Geld. Also wird mit günstigen Austauschstoffen wie Wasser gearbeitet, um das Ausgangsprodukt zu verlängern – gerade in der Fleischindustrie sind solche Praktiken stark verbreitet. Am Ende steht dann ein denaturiertes Lebensmittel – geschmacksarm, künstlich, jedem Anspruch an Genuss abhold und überdies nicht selten der Gesundheit abträglich.

Die Industrie hat wiederum Rückwirkungen auf die Landwirtschaft: Sie verlangt nach besonderen Formen, Sorten, Rassemerkmalen wie dem Schwein, das nur noch mageres Fleisch liefert, gleichförmige Möhren und Gurken, Äpfel mit bestimmten Geschmacksmerkmalen, streng standardisierten Getreide- und Milchprodukten. Und sie verlangt nach bestimmten Mengen und niedrigen Preisen. So verschwindet alles, was Charakter hat. An die Stelle des Eigentümlichen tritt das Einförmige, das Immergleiche und von den Besonderheiten der Landschaft Emanzipierte, das beliebig Reproduzierbare.

Doch zum Glück gibt es sie noch, die Ausnahmen in Anbau, Zucht und Verarbeitung. Teils haben sie wie durch ein Wunder überdauert, teils handelt es sich um Neugründungen, die man gar nicht genug für ihren Einsatz loben und durch Einkäufe unterstützen kann. Denn sie erhalten nicht nur einmalige Geschmackserlebnisse oder ermöglichen sie überhaupt erst wieder, sondern führen auch das wieder zusammen, was immer zusammengehörte: Lebensmittel, Landwirtschaft und Landschaft.

Foto: Lutz Meyer

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.

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