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Was geht in uns vor, wenn wir mit einem Gegenstand in Berührung kommen? Wir gleichen ihn mit ähnlichen Gegenständen ab, die wir bereits kennen, und ordnen ihn ein. Dabei sind verschiedene Stufen der Annäherung möglich.

Erste Stufe

Wir haben so etwas noch nie gesehen und fällen vielleicht ein ästhetisches Werturteil: Gefällt mir oder gefällt mir nicht. Vielleicht stellen wir auch Mutmaßungen an, um was es sich handeln könnte. Liegen uns die beiden im Bild zu sehenden Objekte zum Abgleich vor, fallen uns wahrscheinlich gewisse Ähnlichkeiten in der Form und im Material auf. In beiden Fällen handelt es sich um Stein. Und doch ist jedem klar, dass es sich um unterschiedliche Dinge handelt.

Zweite Stufe

Wir wissen etwas besser Bescheid und erkennen im linken Gegenstand ein Steinbeil aus geschliffenem und poliertem Feuerstein, im rechten eine versteinerte Schwertmuschel mit opalisierender Oberfläche. Vielleicht können wir beide Gegenstände sogar präziser einordnen in eine bestimmte neolithische Epoche bzw. ein konkretes Erdzeitalter. Kennen wir uns sehr gut aus, können wir auch etwas über die Herkunft aussagen und einiges über diese Objekte erzählen.

Dritte Stufe

Wir versuchen, den Wert zu taxieren. Das gelingt uns nur, wenn wir gut informiert sind, um was es sich handelt und wie häufig oder eben auch wie selten solche Objekte sind. Der Erhaltungszustand spielt bei der Wertfindung eine große Rolle.

Vierte Stufe

Wir fragen uns, wie diese seltenen und zugleich seltsamen Gegenstände wohl in dieses Zimmer gelangt sein mögen. Wohnt hier ein Sammler? Handelt es sich um selbst Gefundenes oder um geerbte oder käuflich erworbene Stücke? Wurden sie auf dem Flohmarkt entdeckt oder handelt es sich um Dachbodenfunde? Das Interesse richtet sich auf die Person des Besitzers dieser Stücke und die Objekthistorie, hier geht es also um die humane Perspektive (zu unterscheiden von der eigentlichen Herkunftsgeschichte der Objekte, siehe die zweite Stufe),

Fünfte Stufe

Wir lassen die oberflächliche Betrachtung hinter uns. Sprechen diese Objekte zu uns? Das Flintbeil erzählt uns etwas über das harte, entbehrungsreiche Leben vor 5.000 Jahren. Es sagt uns aber auch, dass es möglich ist, mit ganz einfachen Mitteln das Überleben zu sichern. Die fossile Muschel führt uns in noch ältere Zeiten zurück – sie berichtet aus Zeiten, in denen es noch keine Menschen gab, aber zahlreiche andere Lebensformen die Erde bevölkerten. Beide Gegenstände nehmen uns mit auf phantastische Zeitreisen.

Über das Vergleichen

Betrachten wir zwei Gegenstände, vergleichen wir sie. Das Vergleichen ist heute in Verruf geraten (man könne doch A nicht mit B vergleichen, heißt es oft, meist in politischen Zusammenhängen) – zu Unrecht. Auch die alte Redensart „Man kann Äpfel nicht mit Birnen vergleichen“ führt auf Abwege. Denn vergleichen kann man alles miteinander. Man sollte nicht zwei ungleiche Dinge mutwillig ins Gleiche setzen, aber im Vergleich fallen ja gerade die Unterschiede auf, werden Differenzen festgestellt. So entsteht Klarheit. Vergleichendes Sehen und Denken erweitert also den Horizont. Aber genau das ist bekanntlich nicht immer erwünscht.

Foto: Lutz Meyer

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.

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