Sprache fließt, Sprache strömt, Sprache bewegt – so auch das Wasser. Sprache…
Ein Gewürz wie Chili oder Pfeffer ist scharf. Ebenso die Klinge aus Feuerstein oder Stahl oder eine zurechtweisende Antwort. Die sinnliche Wahrnehmung kann schärfer oder weniger scharf sein – je schärfer sie ist, desto mehr Eindrücke sammeln wir. Eine Argumentation kann scharfsinnig sein, dann lässt sie emotionale Einwände kaum zu. Und seit Corona wissen wir, dass der Staat sich bemüßigt fühlen kann, sogenannte Schutzmaßnahmen sogar nachzuschärfen.
Aber was ist das Wesen von Schärfe? Das Gegenteil von scharf ist mild – mild im Geschmack, mild im Urteil. Schärfe hat etwas Schneidendes oder Einschneidendes: die Klinge, die Argumentation, eine Maßnahme. Auch das feurige Brennen von zu viel Chili im Mund ist eine durchaus einschneidende Maßnahme, weil sie den Genuss beeinträchtigt. Ich erinnere mich noch gut an eine “Pizza Inferno”, die ich letztes Jahr bei einem Italiener in Burg auf Fehmarn nur zur Hälfte schaffte, weil mein Mund bereits nach dem ersten Bissen im Flammen stand. Erwartet hatte ich schon eine gewissen Schärfe – anderswo heißen diese Pizza-Sorten dann Picante oder auch Diavola. Aber die Pizza Inferno hat mehr als nur eine gewisse Schärfe und hätte eigentlich eines Warnhinweises bedurft.
Schärfe schneidet. Das Schneiden ist eine Verletzung: der Geschmacksknospen, der Gefühle, der gewohnten Lebensweise. Aber was verletzt wurde, kann auch heilen. Im Fall der Pizza Inferno war es – neben zwei Litern kalten Wassers zur Löschung des Brandgefühls im Mundraum – eine Portion Tiramisu. Ein schneidendes Urteil wiederum kann durch eine freundliche, warmherzige Bemerkung gelindert werden. Anders ist es mit scharfen oder nachgeschärften Willkürakten des Staates – so etwas heilt nicht so schnell. Zum Glück nicht, denn es ist wichtig, sich der Verletzungen noch lange zu erinnern.
Unter allen genannten Formen der Schärfe hat allein die Schärfe der Wahrnehmung nicht notwendig etwas Verletzendes. Es sei denn, sie richtet sich allzu unbarmherzig auf ein Fauxpas unseres Gegenübers. Legendär ist das Missgeschick des Earl of Oxford, dem – als er sich vor Elizabeth I. verbeugte – laut vernehmlich ein kräftiger Furz entfuhr. Alle Anwesenden einschließlich der Königin bemerkten es. Der Earl ließ sich aus Scham sieben Jahre nicht bei Hofe blicken. Als er dann doch erneut seine Aufwartung machte, soll die Königin gesagt haben: „My lord, I had forgot the fart“. Auch eine erinnerte Wahrnehmung kann also sehr scharf und sehr verletzend sein.
Foto: Lutz Meyer
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