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Wenn im Folgenden von künstlicher Intelligenz die Rede ist, meine ich nicht all die Programme, die unsere technischen Geräte optimieren, Ampelanlagen und Fertigungsstraßen steuern und menschliches Verhalten überwachen. Gemeint ist die Form künstlicher Intelligenz, die auch in den musischen Bereich vordringt.

Heutige Schachcomputer bringen selbst manchen Großmeister ins Schwitzen. Das programmierte Erfahrungswissen aus Tausenden von Weltklassepartien plus die reine Rechenleistung der künstlichen Intelligenz sind stärker das menschliche Gehirn: Die künstliche Intelligenz kann mehr Züge unter Einbeziehung aller möglichen Alternativen vorausberechnen als der Mensch im gleichen Zeitraum. Künstliche Intelligenz wird niemals abgelenkt, kennt keinen Hunger, keinen Hustenreiz und auch keine störenden Gefühle wie Liebeskummer oder Geldsorgen. Sie kann bereits heute wissenschaftliche Arbeiten schreiben, indem sie das ihr zur Verfügung stehende Wissen sinnvoll kombiniert. Aber ist sie auch kreativ? Inzwischen erzeugt künstliche Intelligenz Kunstwerke. Sie malt Bilder und komponiert Musik. Man ist also geneigt, ihr die Fähigkeit zur Kreativität zuzusprechen. Sie kann literarische Texte erzeugen, Gedichte wie Romane. Sie kann Reden schreiben. Wozu sich also selbst noch um die Sprache bemühen?

Hier schreibt künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz ist schnell, produziert auf gleichbleibendem Niveau und verfügt über breites Wissen, das ein Mensch erst mühsam recherchieren müsste. Sie agiert als Digitalassistenz oder Chatbot mit Kunden und reagiert auf unerwünschte weltanschauliche Positionen. Wahrscheinlich kann sie auch mit den Regeln der Dramaturgie, mit Reimen und Versmaßen perfekt umgehen und zwischen Stilebenen wechseln. Sie könnte wohl bereits heute ganze Redaktionen und PR-Agenturen ersetzen – und wird es schon bald ganz sicher tun. Natürlich ist sie nur so intelligent wie der menschliche Geist, der sie füttert. Aber für den alltäglichen Bedarf und den Durchschnittsgeschmack reicht es.

Der englische Autor Roald Dahl – bekannt für seinen schwarzen Humor – hat (meines Wissens 1953, also lange, bevor das digitale Zeitalter begann) eine Geschichte mit dem Titel The Great Automatic Grammatizator veröffentlicht. Darin geht es um nichts anderes als das, was wir eben beschrieben haben: Ein Mensch konstruiert eine Maschine, die auf Knopfdruck jeden gewünschten Text erstellen kann. Wer jemals versucht hat, einen Roman zu schreiben, weiß, wie mühselig das ist. Bis aus dem ersten Gedanken ein fertiges und vor allem lesbares Werk wird, vergehen durch harte Arbeit und oft genug auch Verzweiflung geprägte Monate oder Jahre. Warum also nicht der künstlichen Intelligenz das Feld überlassen und sich auf den passiven Konsum beschränken?

Der menschliche Geist ist nicht perfekt – und gerade deshalb überlegen

Der menschliche Geist bleibt der künstlichen Intelligenz in einem Punkt wahrscheinlich für alle Zeiten überlegen: Er kann intuitiv sein, instinktiv, spontan. Er kann improvisieren. Und er kann wie aus dem Nichts neue, bislang völlig unbekannte Denkmuster erschaffen. Er ist in ständiger Interaktion mit anderen Lebewesen, die er sinnlich wahrnimmt, fühlt, spürt. Das erschließt wesentlich mehr als das in Datenbanken angehäufte Wissen über diese Lebewesen.

Der menschliche Geist ist ursprüngliche Kreativität. Künstliche Intelligenz ist nach bestimmten Regeln arbeitende Kreativität. Bringt man ihr bei, wie Picasso zu zeichnen, wird sie das mühelos kopieren und aus den Versatzstücken auch neue Werke generieren können. Aber wäre sie auch in der Lage, nur ein einziges neues Werk schaffen, das den lebendigen Geist Picassos in sich trägt? Künstliche Intelligenz könnte den Schreibstil Martin Heideggers oder Friedrich Nietzsches kopieren. Aber könnte sie wie Heidegger oder Nietzsche denken? Wäre sie offen für blitzartige Eingebungen – Eingebungen wie aus dem Nichts? Es ist genau diese Originalität der Schöpfung, die den menschlichen Geist und seine Sprache auszeichnet. Dies gilt umso mehr, als die Programmierung künstlicher Intelligenzen in der Regel hochspezialisierten Menschen überlassen bleibt, die außerhalb ihres Fachgebietes oft einen eher eingeschränkten Horizont haben. Bestimmte wesentliche Elemente des Geistes wie spontane Gefühle müssen nicht nur anhand des Gesichtsausdrucks oder des Blutdrucks gelesen und decodiert, sondern eben auch gefühlt und erlebt werden.

Insofern sind wir als Sprachschöpfer recht zuversichtlich, dass uns die Arbeit so schnell nicht ausgehen wird. Es ist wie der Unterschied zwischen Industrie- und Manufakturware: ob etwas mit hohem Automatisierungsgrad maschinell oder mit der Hand gefertigt wurde, spürt man nicht zuletzt an den kleinen Unebenheiten, den Abweichungen, den spontanen Neuschöpfungen. Aus Sicht des Maschinenmenschen sind das Fehler, die es auszumerzen gilt. Tatsächlich aber zeigt sich hier das, was im Reich der künstlichen Intelligenz niemals anzutreffen sein wird:  die Seele.

Foto: Lutz Meyer

 

 

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.

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