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Die unscheibaren Waffen sind oft die stärksten im Kampf um Sprache und Denken

Es sind nicht immer die großen, schweren Waffen, die über Sieg oder Niederlage entscheiden. David bezwang Goliath mit einer Steinschleuder. In der waffenstrotzenden Welt unserer Tage sind Sprache und Denken die Steinschleuder. Wer über sie verfügt, dürfte auf lange Zeit unbesiegbar sein. Der seit einigen Jahren heftig entbrannte Kampf um Deutungshoheit, Begriffe und korrektes Denken ist daher kein Nebenkriegsschauplatz, sondern womöglich der zentrale. Nur so lässt sich der Aufwand erklären, mit dem Politik, Medien, Bildungseinrichtungen und Interessengruppen Wörter und Gedanken bekämpfen, die nicht in ihr Konzept passen.

Nein, es ist nicht lächerlich

Das gouvernantenhafte Ringen um die Sprache etwa beim Gendern oder politisch korrekter Sprache wirkt oft lächerlich, doch die Absicht dahinter ist es nicht. Es geht darum, Gedanken undenkbar und unaussprechbar zu machen – wer die Wörter beherrscht, beherrscht auch das Denken. Immer mehr Menschen fallen die Parallelen zu dystopischen Romanen wie 1984 auch auf. Doch wie kann man sich wehren?

Übergriffigkeit abwehren – doch wie?

Noch lassen sich die Versuche, die Sprache zum Herrschaftsinstrument umzuwandeln, vielleicht abwehren. Hohn und Spott sind das wohl naheliegendste Mittel. Doch auf Dauer werden diese Waffen stumpf werden und der Kampf gleicht dem eines Don Quichote. Man könnte auch das Bild der mythischen Hydra bemühen – für jeden Kopf, der ihr abgeschlagen wird, wachsen ihr zwei neue nach. Außerdem ist der Kopf in der Mitte unsterblich und ihr Hauch ist tödlich. Dem zweiten Mittel, dem schlagkräftigen Argument, der logisch korrekten Wiederlegung, droht ebenfalls Ermüdungsgefahr. Denn gegen die Übermacht der Lüge und des Unfugs kann kein noch so kluges Argument sich in der öffentlichen Wahrnehmung durchsetzen. Die Hydra des Mythos wurde von Herakles besiegt, doch zu welcher List müsste ein heutiger Herakles greifen?

Das Unverfügbare

Wenn jeder Versuch, sich mit Witz, Ironie oder Verstandesschärfe zu wehren, zum Scheitern verurteilt ist, bleibt zuletzt – das Schweigen. Das Schweigen ist in einer Welt des Geschwätzes, Gebrülls und Gekreisches eine sehr wirksame Waffe. Wer schweigt, entzieht sich. Zum Schweigen gehören auch das bewusste Weghören und Wegschauen, die Abwendung. Den sprachlichen Zumutungen der Gegenwart verweigert der Geist der Zutritt. Geist ist – es wird gern übersehen – nicht mit dem Gehirn identisch. Das Gehirn kann zwar Werkzeug des Geistes sein. Doch der Geist ist frei, findet überall Möglichkeiten, sich zu manifestieren. Geist ist, wo Leben ist. Und dieses Leben können wir gar nicht weit und unangreifbar genug denken.

Foto: Lutz Meyer

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.