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VUCA entstammt als Begriff der Legende nach ursprünglich irgendeiner amerikanischen Militärhochschule. Der Begriff klingt krank, feindselig und sperrig genug, um tatsächlich einen solchen Hintergrund zu haben. VUCA steht für volatility (Volatilität‚Unbeständigkeit), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Mehrdeutigkeit).

Was als militärische Strategie durchaus sinnvoll sein kann, um einen Feind handlungs-, verteidigungs- und überlebensunfähig zu machen, scheint heute in vielen Unternehmen ganz bewusst herbeigeführt zu werden. Nicht um unliebsame Konkurrenz zu erledigen, sondern als Mittel der strukturellen Erneuerung. Natürlich sagt kein Vorstand und kein Unternehmensberater: „So, nun lasst uns hier mal die VUCA-Welt einführen und uns selbst ruinieren.“

 

Wer Change will, wird VUCA bekommen

Man spricht vielmehr von Change, digitaler Transformation und Agilität. Begriffe, die verheißungsvoll klingen – Wandel, Veränderung, man geht mit der Zeit, ist offen für Neues, gibt sich technologieaffin und ist dabei überaus aktiv, mobil, dynamisch, flexibel, zeitgeistig und lebendig. Ein ewiger Rausch der Neugestaltung, ein sprudelnder Jungbrunnen für Institution und Beschäftigte, ein steter Quell der Begeisterung und Neuerfindung für alle Beteiligten.

Heraus kommt dabei aber in so ziemlich jedem Unternehmen genau das, was VUCA meint: Eine Organisation, der angesichts eines hochdynamischen und hochkomplexen und niemals endenden Wandlungsprozesses Hören und Sehen vergeht. Da wird so manches mehrdeutig, was früher einmal eindeutig war. Und was lange Zeit beständig und sicher erschien, wird über Nacht zu etwas Unbeständigem und höchst Unsicherem. So und nicht anders sieht heute die Wirklichkeit vieler Unternehmen aus. Dass sie dennoch nicht sofort untergehen, ist dem Umstand geschuldet, dass Restbestände einstiger Stabilität sich erhalten haben und einen beschleunigten Zerfall verhindern.

 

Verloren in VUCA-Welten

Diese Restbestände halten sich in den Köpfen und Herzen der Menschen, die in solchen Organisationen arbeiten und den Wandlungsprozess als Getriebene und Leidtragende mehr erdulden als gestalten. Dieses Erdulden bleibt nicht ohne Folge für Seelenleben und Gesundheit. Nicht umsonst sind psychische Erkrankungen mittlerweile nach Rücken- und Atemwegserkrankungen der dritthäufigste Grund für Krankschreibungen. Mit steigender Tendenz. Psychische Erkrankungen als Ursache der Krankschreibungen nahmen zwischen 2008 und 2017 enorm um 144 Prozent zu.

Der Grund ist klar: Man kann allein im steten Wandel nicht existieren. Jeder Mensch braucht einen festen Bezugsrahmen, benötigt Stabilität, Beständigkeit, Verlässlichkeit und Sicherheit im persönlichen Umfeld. Geht all dies verloren, verschwindet die Orientierung, das innere Maß. Wie ein Schiff im Nebel treibt der Mensch durch das Leben, ungewiss, wo die nächste Untiefe oder Klippe droht.

Natürlich ist kein Leben frei von Wandel und Veränderung: man wird älter, bewegt sich innerlich wie äußerlich auf neue Positionen zu, wächst und lernt hinzu. Leben ist Wandel. Aber die brachial vorangetriebene VUCA-Dynamik bedeutet keinen kreativen, sondern einen zerstörerischen Wandel, einen Prozess, der zu einer regelrechten Zerbröselung persönlicher Lebensverhältnisse führt. Dieser Prozess wird mutwillig in die Welt gesetzt. Fragt sich nur, von wem und mit welcher Absicht.

 

Cui bono?

Die Absicht lässt sich leicht ergründen: Menschen, die VUCA-Verhältnissen ausgesetzt sind, werden regelrecht zermürbt. Sie sind bald keine planvoll handelnden und bewusst ihr Leben gestaltenden Subjekte mehr, sondern werden im Prozessverlauf zu willenlosen Objekten, die sich nicht mehr wehren, die keinerlei Widerstand leisten können, keine persönlichen Zielsetzungen mehr verfolgen. Konsum, Unterhaltung und Zerstreuung jeder Art sind die letzten Fixpunkte.

Wer aber könnte dermaßen finstere Absichten hegen? Wer hätte ein Interesse daran, die Auflösung aller Dinge einschließlich der menschlichen Beziehungen voranzutreiben? Wem nützt es? Wer hat davon einen Vorteil?

Wer profitiert davon, dass Menschen jeden inneren Halt verlieren und zuletzt nur noch auf ein Mindestmaß des Funktionierens reduziert werden? Eine spannende Frage für den nächsten geselligen Abend unter Freunden.

 

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.

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