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Am Anfang einer guten Geschichte steht nicht zwangsläufig ein genialer Satz, aber immer ein Bild. Dieses Bild muss nicht großartig oder einmalig sein, es kann sogar überaus banal sein. Das Bild muss nicht in der Geschichte abgebildet abgebildet sein – es reicht, wenn es vom Verfasser der Geschichte gesehen wurde und in dessen Kopf ist.

So ein Bild zeigt einfache Dinge wie einen Stein auf einer Fensterbank, ein abgeerntetes Feld, eine Teekanne im Abendlicht, vielleicht eine skurrile Situation oder spiegelt einfach nur eine bestimmte Stimmung. Und obwohl Geschichten meist von Menschen handeln, müssen keine Menschen auf dem Bild zu sehen sein. Man könnte sogar sagen: Je weniger Mensch, desto offener ist das Bild für Geschichten, die in ihm stecken.

Stille Wasser sind mitunter wirklich tief

Was sagt dir dieser verlassene Badesteg am Selenter See, von dem eine Leiter ins Wasser führt? Ist da jemand schwimmen gegangen? Bedenke: Das Wetter ist trüb, da baden die meisten Menschen nicht gern. Trübes Wetter, trübe Gedanken – ist da jemand, wie man früher sagte, „ins Wasser gegangen“, um dem Trübsinn seiner Tage zu entkommen? Aber es muss nicht böse enden, sehr wahrscheinlich ist es eine Geschichte mit gutem Ausgang. Vielleicht eine Liebesgeschichte?

Die Sprache der Bilder

Oder schau dir das hier an: Ein Kaugummiautomat im münsterländischen Laer – wegen des Zaunes unerreichbar für naschsüchtige Kinder. Nur das Federvieh kann ihn erreichen – und hat vermutlich kein Interesse daran. Ist das nicht ein Sinnbild der Absurdität des Lebens? Wie ist es zu dieser Situation gekommen? War das schon immer so oder hat jemand den Kaugummiautomaten eingekerkert? Warum? Wer macht so etwas? Vielleicht ist es auch eine Momentaufnahme der Zeit: Kinder interessieren sich halt nicht mehr für Kaugummiautomaten.

Geschichten vom Warten

Sehr vielsagend ist auch der Anlegesteg an der Kieler Förde: niemand wartet und niemand wird erwartet. Dennoch ist alles bereit: Das Wartehäuschen bietet Unterschlupf bei schlechtem Wetter und wartet auf Passagiere, die Poller warten auf das Schiff, die Lampen auf die Nacht und die Fische in der Förde auf den Angler. Ein ganzes Füllhorn möglicher Erzählungen öffnet sich.

Schlüsselerlebnisse

Auch die Schlüssel scheinen zu warten – darauf, dass jemand sie vom Haken nimmt und irgendetwas mit ihnen öffnet – eine Tür zu einem lange nicht betretenen Raum, einen Schrank, eine Truhe. Man spricht von Schlüsselerlebnissen, wenn man etwas Prägendes erlebt hat. Doch was erleben die Schlüssel selbst? Manchmal gehen sie verloren, nur selten werden sie dann wiedergefunden. Oft landen sie mit anderen Schlüsseln in einer Schublade und niemand weiß dann mehr, welche Türen oder Behältnisse sie einmal zu öffnen bestimmt waren,. Vielleicht ist das Haus längst abgerissen, der Kleiderschrank längst auf dem Sperrmüll gelandet – doch der Schlüssel existiert noch. Das ist wie in der Archäologie: Man findet ein uraltes Werkzeug, doch der Lebenszusammenhang, in dem dieses Werkzeug einmal jemandem zunutze war, ist längst nicht mehr präsent.

Was wir hier nur angerissen haben, ist eine Kreativtechnik, um Denk- und Schreibblockaden zu lösen. In unseren Kurs- und Beratungsangeboten auf Wort-und-Bogen.de geben wir vertiefende Einblicke.

Fotos: Lutz Meyer

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.

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