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Unternehmenskultur in bewegten Zeiten

Chefs haben es wirklich nicht leicht heute. Stürmische Zeiten führen zu Verunsicherung, Orientierungsverlust und Ängsten. Nicht nur bei den Chefs selbst, sondern auch bei den Beschäftigten. Die Folgen sind Frust, Motivationsverlust, vermehrte Fehltage, Fluktuation. Hat das was mit der Unternehmenskultur zu tun? Und welche Rolle spielen die Chefs dabei?

Was ist Unternehmenskultur?

Man veranschaulicht Unternehmenskultur für gewöhnlich im Bild des Eisbergs: der kleinere Teil oberhalb der Wasseroberfläche umfasst Dinge wie Leitbild, Strategie und Außendarstellung – also das, was sichtbar und auch offensichtlich ist. Der größere Titel unterhalb der Wasseroberfläche ist der Wahrnehmung von außen entzogen. Hier geht es um Beziehungen, Einstellungen, Gefühle, verdeckte Regeln und Grundbedürfnisse wie dem nach Sicherheit.

Wie für die Seefahrt der untere und unsichtbare Teil des Eisbergs der gefährlichere ist, so ist er es auch für Unternehmen. Coaches und Unternehmensberatungen wissen das und nehmen deshalb das Ganze des Eisbergs in den Blick. Oft passiert dann aber etwas, was die Problemlage eher ver- als entschärft: Den Unternehmen werden Konzepte übergestülpt und verordnet, die mit der Unternehmensrealität oft nur wenig zu tun haben und deshalb auch nicht passen.

Ein Hauptproblem im Unternehmen mit Blick auf die Unternehmenskultur sind die Chefs und ein von ihnen nicht mehr verstandener Kulturbegriff, weil sie zu sehr auf Äußerlichkeiten fixiert sind.

Die Sache mit der Kultur

Der eigentlich überstrapazierte Begriff der Unternehmenskultur verdient dennoch eine etwas genauere Betrachtung. Es gab Zeiten, in denen vor allem der Unternehmer selbst noch eine natürliche Beziehung zu dem hatte, was man gemeinhin als Kultur bezeichnet – also zu allem, was das Land, dem er angehörte und in dem er lebte und wirtschaftete, an Dichtung, Musik, Kunst, aber auch Wissenschaft und Technik zu bieten hatte.

Erfolgreiche Unternehmer förderten oft die zeitgenössische Kultur ihres Landes, taten sich als Sammler hervor, stifteten Museen, unterstützten Forschungseinrichtungen. Und zwar ohne vordergründigen Eigennutz. Das ist selten geworden. Hieraus eine neue Art von Unternehmenskultur ableiten zu wollen, wäre nahezu aussichtslos, weil die natürliche Beziehung zwischen Unternehmen und Kultur verloren gegangen ist und der heutige Unternehmer im wahrsten Sinn des Wortes oft kulturlos ist. Schlimmer noch: Eine echte zeitgenössische Kultur, die sinnstiftend wirken könnte, existiert kaum noch, weil man Kulturbetrieb nämlich nicht mit Kultur verwechseln sollte.

Es würde für den Neubeginn echter Unternehmenskultur aber schon reichen, wenn Unternehmer wieder ein Gespür dafür entwickeln könnten, welche Art von Geist in ihrem Unternehmen herrscht, welche Schwingungen es aussendet. Dafür bedarf es eines entsprechenden Sensoriums.

Schwingungen der Unternehmenskultur

Schwingung ist zunächst ein Begriff aus der Physik. Aber es gibt auch Schwingungen, die nicht physikalisch messbar, wohl aber metaphysisch erfassbar sind. Menschen senden Schwingungen oder auch Energien aus, die andere Menschen wiederum erfassen. Man betritt einen Raum voller Menschen, erfasst diese Schwingungen und hat, ohne dass man es eigens aussprechen müsste, sofort ein Bild der herrschenden Stimmungslage – heute ist sie sicher meist eher bedrückt und verunsichert als heiter und voller Tatendrang. Nicht nur Menschen, auch Unternehmen im Ganzen senden Schwingungen aus: Man sieht das Gebäude, seine Produkte, das Logo, die Internetseite, die Fahrzeuge, die Beschäftigten, den Chef – und erspürt sehr schnell den Geist, der in diesem Unternehmen herrscht.

Außenstehenden, die mit einem entsprechenden Sensorium ausgestattet sind, gelingt dies meist sehr viel leichter als Betriebsangehörigen und den Chefs. Wichtigste Aufgabe der Unternehmensberatung wäre es deshalb, Chefs und Beschäftigte zu sensibilisieren und zu ermutigen, das Erspürte und Gefühlte mitzuteilen. Das kann die Grundlage einer echten, von innen kommenden Unternehmenskultur sein. Das wäre nichts Aufgepfropftes, sondern etwas Gewachsenes. Das Sensorium für Schwingungen zu entwickeln und zu pflegen ist nicht nur die wichtigste, sondern auch die schwierigste Aufgabe, der Unternehmen und Unternehmensberatung sich zu stellen haben.

 

Foto: Lutz Meyer

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.