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Ein Gespräch in seiner Idealform ist mehr als ein bloßer zweckgerichteter Informationsaustausch. Es ist die wohl kultivierteste Form menschlichen Miteinanders. Ein solches Gespräch ist wie eine Insel der Ruhe und Erholung im unruhigen Strom der Zeiten. Es kann im Idealfall das Zeitlose tangieren – eine Sphäre, die jenseits aller Unannehmlichkeiten des Alltags steht.

Wenn da nur jener Menschenschlag nicht wäre, der in der Zeitlichkeit gefangen ist und dies durch Äußerungen kundtut wie „Ich muss aber auf die Uhr schauen“ oder „Ich muss auf die Zeit achten“ – und dies durch wiederholte demonstrative Blicke auf Armbanduhr oder Smartphone dann auch macht. So etwas ist nicht nur grob unhöflich und zeugt von schlechter Kinderstube, sondern lässt auch Arroganz und Ignoranz erkennen – denn schließlich ist jeder Mensch auf die eine oder andere Weise an Zeiten gebunden. Also muss man es nicht eigens betonen. Betont man es dennoch, signalisiert man, dass man die eigenen zeitlichen Zwänge für wichtiger hält als die der anderen.

Zeitsklaven

Derjenige, der ständig auf die Uhr schauen muss, bringt damit überdies zum Ausdruck, dass er nicht Herr seiner Zeit, sondern ihr Sklave ist. Die Uhr, gleich ob als reiner Zeitmesser, als modisches Accessoire oder als multifunktionale Smartwatch am Arm getragen, ist Brand- und Abzeichen dieser Sklaverei. Natürlich gibt es gute Gründe, ab und an auf eine Uhr zu schauen. Auf dem Weg zum Bahnhof oder wenn ein Kind irgendwo abgeholt werden muss. Oder wenn man einen Auflauf im Backofen hat. Im Gespräch ist der wiederholte Blick auf die Uhr Indiz für mangelnde Anteilnahme, für ein Unberührtsein.

Das Zeitlose

Geist und Seele der am innigen Gespräch Beteiligten sind im Austausch, das erzeugt eine besondere, fast schon greifbare Aura. Zeitliches spielt zwar ins Gespräch hinein, das Gespräch erschöpft sich aber nicht in ihm.

Man braucht Zeit für solche Gespräche – eine ausgedehnte Zeit, die keine Uhr zu messen imstande an. Am besten auch die passende Umgebung – draußen bei einem Gang durch den Wald oder am Strand, drinnen bei möglichst ausgeschalteten Störfaktoren. Die Stille ist dem Gespräch ebenso förderlich wie die Präsenz möglichst unverbauter Natur. Und Uhren? Gehören – wenn schon nicht zertrümmert – so doch für die Dauer des Gesprächs abgelegt.

Foto: Lutz Meyer

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.

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