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Der schwarze Hahn

Dem Hahn wurden in alten Zeiten prophetische Kräfte zugeschrieben. Mit einem ironischen Blick auf die Qualität der Wettervorhersage haben Spuren des alten Volksglaubens sich sogar bis in unsere Tage erhalten („Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt, wie es ist“). Auch als Wetterhahn auf der Kirchturmspitze erinnert er noch heute an diese Seite seines Wesens, wobei der praktische Nutzen als Anzeiger der Windrichtung sicherlich erst später hinzugekommen ist.

Der Hahn als Orakel- und Zaubervogel

Der Hahn konnte im Volksglauben Unglücks- und Todesfälle ebenso vorhersagen wie Hochzeiten. Aussicht auf schönes Wetter bestand, wenn der Hahn über den Zaun hüpfte, lief er über den Mist, gab es schlechtes Wetter. Körperteile eines Hahns – unter der Schwelle vergraben – können vor Unglück und Krankheit schützen und Liebeszauber bewirken. Doch auch für das Gegenteil ist der Hahn zu gebrauchen: Wirft man den Sand, auf dem zwei Hähne sich gestritten haben, zwischen zwei Liebende, so kann man sie auseinanderbringen. Der Hahn gilt auch als Grenzwächter. Er kräht, wenn die Nacht weicht und der Tag beginnt, und wacht im alten Glauben auch an der Grenze zum Reich der Toten. Außerdem vertreibt sein morgendliches Krähen die Dämonen.

Böse Kräfte werden speziell dem schwarzen Hahn zugeschrieben – vor allem dort, wo christlicher Glaube und Aberglaube sich verbinden, gilt er als Symbol des Teufels. Doch auch eine rote Hahnenfeder, am Hut getragen, ist ein Abzeichen des Teufels. Der der rot gefiederte Hahn und der rote Kamm stehen für Feuersbrunst – jemandem den roten Hahn aufs Dach setzen heißt, sein Haus anzünden.

In alten Kulturen war der Hahn ein wichtiges Opfertier. So ließ Sokrates vor seinem Tod durch den Schierlingsbecher dem Asklepios einen Hahn als Opfer darbringen. Asklepios war der Gott der Heilkunst – im Tod Heilung zu sehen, zeugt von wahrlich philosophischer Gelassenheit. Doch auch bei prosaischen Dingen konnte der Hahn helfen, etwa beim Zahnen der Kinder. Und jeder weiß: Nichts hilft so gut bei Grippe wie eine Hühnerbrühe.

Hahn und Hahnrei

Die sicht- und hörbare Vitalität eines Hahns führte dazu, in ihm ein Symbol der Manneskraft zu sehen (das selbstbewusste Krähen, die Fruchtbarkeit, der geschwollene Kamm, das sprichwörtliche Imponiergehabe bzw. Herumgockeln). Gleichwohl dient er aber auch zur Kennzeichnung des von seiner Frau betrogenen Mannes als Hahnhrei – hier wird es sich dann wohl um einen Kapaun, also um einen kastrierten Hahn handeln.

Der krähende Nachbar

Wer wie wir auf dem Dorf lebt, kommt – sofern dort noch der eine oder andere Hühnerhalter lebt – in den Genuss frühmorgendlichen Krähens. Ich mag das, besonders weil ich danach weiterschlafen kann, doch ist es nicht jedermanns Sache. Gelegentlich hört und liest man von Prozessen, die überwiegend von zugezogenen Städtern angestrengt werden, um den Hähnen das Krähen verbieten zu lassen.

Die spannende Frage, ob auch Hühner krähen können, ist zu bejahen: Wahrscheinlich ist das Krähen hormonell gesteuert. Und hat ein Huhn einen Überschuss an männlichen Hormonen, kräht es halt.

 

Foto: Lutz Meyer

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.