Unter den Elementen scheint mir das Wasser die höchste erotische Potenz zu…

Ich war gestern Pilze sammeln Nun gibt es – abgesehen von Maronen, Stinkmorcheln, Schopftintlingen und vielleicht zwei, drei anderen Arten – nur einen Pilz, den ich mit tödlicher Sicherheit identifizieren kann: Den Fliegenpilz. Und diesem Fliegenpilz galt meine gestrige Suche. Von Glückspilzen und Giftpilzen will ich euch daher heute berichten.
Gift und Glück liegen erstaunlich nah beieinander
Der Fliegenpilz verkörpert vor allem hierzulande wie kaum ein anderer Pilz die Vorstellung vom tödlichen Giftpilz. Zugleich gilt er als Glückssymbol – was nicht notwendig daran liegt, dass bei zielgerichtetem, erfolgreichem Einsatz des Fliegenpilzes möglicherweise ein reiches Erbe winkt. Der Zusammenhang ist subtiler.
Beginnen sollte man mit der Erkenntnis, dass der Fliegenpilz zwar ein Giftpilz ist, eigentlich aber nicht (oder nur unter sehr ungünstigen Umständen) tödlich ist. Der Fliegenpilz ist ein Giftpilz, weil der in ihm enthaltene Wirkstoff Ibotensäure Übelkeit, Schwindel und Erbrechen auslösen kann. Als Glückspilz gilt der Fliegenpilz, weil mit einigen Stunden Abstand zu den Vergiftungserscheinungen Glücksgefühle und Tiefenentspannung entstehen und der Schlaf von ausgesprochen schönen, beglückenden Traumbildern begleitet sein kann.
Nicht umsonst fand und findet der Fliegenpilz in schamanischen Ritualen Anwendung: Er ermöglicht Geistreisen in Gefilde, die der alltäglichen Wahrnehmung für gewöhnlich verborgen bleiben.
Von Glückspilzen und Giftpilzen mit zwei Beinen
Dass der Glückspilz meist metaphorisch gemeint ist, weiß jedes Kind: Der Glückspilz ist ein Mensch, der zum Beispiel in der Lotterie gewinnt. Natürlich hängt das Glück nicht immer am Gelde oder an der Materie, es kann auch ein Liebesglück gemeint sein. Dem Glückspilz mag man sein Glück vielleicht neiden, doch ist seine Gesellschaft meist angenehm. Vor allem dann, wenn er andere ein wenig an seinem Glück teilhaben lässt.
Ganz anders der menschliche Giftpilz: Er sät Zwietracht, schafft Unfrieden, mäkelt, stänkert, nörgelt, pestet herum, wo immer es geht. Das Glück anderer ist ihm ein ewiger Stachel im Fleische, selbst die stille Zufriedenheit anderer ist ihm zuwider. Der menschliche Giftpilz hat es auf Zerstörung und die Erzeugung von Leid abgesehen – erst, wenn er größtmöglichen Schaden angerichtet und das Elend seines Opfers unter vollständiger Kontrolle hat, winkt auch ihm wenigstens für kurze Zeit ein Glücksgefühl. Hat man das Pech, mit einem solchen Giftpilz zusammen zu leben, spricht man völlig zu Recht von einer toxischen Beziehung.
Und was habe ich mit den Fliegenpilzen vor?
Fliegenpilz wird traditionell innerlich wie auch äußerlich zu Heilzwecken angewandt. Äußerlich bei Gelenkschmerzen oder auch Rückenschmerzen, innerlich zur Aufhellung oder einfach nur zur Auslösung von Rauschzuständen. Im europäischen Osten wird der frische Fliegenpilz gern in Vodka eingelegt, was seine rauschauslösende Potenz verstärkt. In der neueren Forschung scheint es Hinweise zu geben, dass der Fliegenpilz bei der Behandlung von Depressionen Erfolge verspricht.
Mein persönliches Interesse ist auf die gelegentliche äußere Anwendung bezogen sowieso unter Umständen und selbstverständlich nur in relativ geringer Dosierung auf die Erzeugung von Rauschzuständen. Ich halte mich weder für einen Schamanen noch neige ich zu Depressionen, aber dass es gute Gründe gibt, sich der trüben Realität unserer Tage ab und an für ein Weilchen zu entziehen, wird jeder geistig gesunde Mensch nachvollziehen können.
Foto: Lutz Meyer