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Vom Walnussbaum zum Dulcimer

Ende September ist Walnusszeit. Ein großer, alter Walnussbaum steht nur einen Steinwurf von unserem Haus entfernt auf öffentlichem Grund. Wir nutzen den Vorteil des kurzen Wegs und sammeln bevorzugt in den frühen Morgenstunden oder auch mal nachts, dann im Schein der Taschenlampe. So kann man, ungestört durch andere Sammler, über die Ernte der Nachtstunden allein verfügen. Noch wichtiger aber sind vielleicht die Gedanken, die sich zu dieser Stunde eher einstellen als am hellen Tag.

Der Weltenbaum

Der Walnussbaum bei uns ums Eck verdient das Prädikat majestätisch. Es ist ein geradezu vollkommener Walnussbaum mit dickem Stamm und großer Krone. Die Äste und Zweige recken sich himmelwärts. Spiegelbildlich, aber dem Auge verborgen, versenkt sich das Wurzelwerk tief in die Erde. Während der oberirdische Teil des Baumes das Sonnenlicht empfängt, versorgt sein unterirdischer Teil ihn mit Wasser und Nährstoffen. Zugleich ist das Wurzelwerk ein sicherer Anker, das den Baum bislang wohl schon an die 90 oder 100 Jahre vor der Gewalt von Stürmen geschützt hat Ohne Übertreibung kann man sagen, dass dieser Baum mit dem gesamten Universum verbunden ist. Jede Nuss ist wiederum Träger all der komplexen genetischen Informationen, aus denen ein neuer Walnussbaum und mit ihm weitere Generationen von Walnussbäumen entstehen könnte. Indem wir die Nüsse einsammeln, um sie über den Winter zu verzehren, unterbrechen wir den Kreislauf zwar, sind aber gerade so mit dem Baum verbunden.

Der klingende Walnussbaum

Oben abgebildet ist ein Dulcimer. Dieser Dulcimer besteht aus Walnussholz und ist eins meiner Lieblingsinstrumente. Gefertigt wurde der Dulcimer vor gut 25 Jahren von Klaus Doll. Das Holz stammt teils von einem englischen, teils von einem französischen Walnussbaum (also keinem westfälischen und schon gar keinem hier aus Laer).

Ein Dulcimer, dessen Korpus und Griffbrett komplett aus Walnussholz ist, klingt komplett anders als einer, bei dem die Decke aus Fichtenholz und nur Zargen und Boden aus Walnuss gefertigt sind. Noch deutlich anders klingt ein Instrument aus Fichte und Ahorn. Der Walnussholz-Dulcimer hat einen besonders feinen Klang. Das Holz ist nicht tot, seinen Schwingungen teilen sich dem Gehör mit. Wenn Ton an Ton sich reiht und eine Melodie entsteht, zaubert das vermeintlich tote Holz eines objektiv nicht mehr bestehenden Walnussbaums ein Lächeln auf das Gesicht der Zuhörer, bringt sie vielleicht sogar zum Tanzen. Wie sollte also dieses Holz tot sein? Die Seele des Walnussbaums lebt im Instrument und in den Menschen, die es hören, weiter.

Foto: Lutz Meyer

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.