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Dohle

Der Frühling ist wunderbar: mit einem Buch draußen sitzen, chillen in der Sonne und Leute beobachten. Alles drei war vergangenen Donnerstag mein Plan. Die erste Schwierigkeit bestand darin, im Park eine freie Bank zu finden, denn alle waren besetzt. Da es sich im Stehen weder entspannt lesen lässt, noch richtig chillen, erweiterte ich meine Suche. Endlich entdeckte ich auf einer kleinen Anhöhe zwei freie Bänke, allerdings im Schatten. Sie standen dicht nebeneinander, dazwischen befand sich ein Mülleimer. Wegen des Mülls und seines vermeintlichen Gestanks war ich skeptisch, steuerte aber dennoch zielstrebig darauf zu. Von rechts näherte sich ein Mann. Ich ging schneller. Er bog ab. Glück gehabt, dachte ich. Jetzt könnte ich mir die schönste Bank aussuchen.

Man kann nicht alles haben

Beim Näherkommen entdeckte ich Kleckse auf dem Boden. Sehr viele. Misstrauisch trat ich näher an das Bankpaar. Der Müll roch zumindest nicht auf zwei Meter Entfernung. Auch mit dem Schatten konnte ich leben, klappte zwar das Chillen in der Sonne nicht, aber nun gut, man kann nicht alles haben. Mehr Sorgen bereiteten mir die Kleckse, die massenhaft auch Bank zwei bedeckten. Bank eins war nur auf der linken Seite bekleckst. Ich überlege, denn nun war mir klar, warum ausgerechnet diese zwei Bänke unbesetzt waren – an einem frühlingshaften Nachmittag im gut besuchten Park. Danach schaute ich ins Blätterdach über mir: Wo versteckten sich die Vogelnester? Ich entdeckte keins. Als ich meinen Blick wieder senkte, fiel er auf die zerquetschten Zigarettenkippen unter den Armlehnen. Denen durfte man also ebenfalls nicht zu nahe kommen. Mir schoss die Vorstellung durch den Kopf, wie ich statt an der frischen Luft im Park im stickigen Auto auf meinen Sohn warten würde. Er war noch eine Stunde beim Parkour-Training. Eine Stunde geschenkte, freie Zeit, die ich geplant hatte, lesend im Park zu verbringen. Nach einer kurzen Risikoabwägung nahm ich vorsichtig auf Bank eins Platz, weit genug von den Kippen und dem Müll entfernt und mit Sicherheitsabstand zu den Klecksen.

Erneute Risikoabwägung

Bevor ich mein Buch aufschlug, ließ ich meinen Blick schweifen: Unten auf dem Rasen breiteten ein Mann und eine Frau eine Decke aus und machten es sich gemütlich. Ich tippte auf Studenten. Während meines Studiums hatten wir in der Mensa gerne „Studiengang-Raten“ gespielt. Früher war ich treffsicher gewesen, aber mittlerweile war ich raus. Keine Ahnung, welches Outfit derzeit zu einem Soziologiestudenten oder einer BWL-Studentin passen. Vor mit platschte etwas auf die Steine. Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch: ein Regentropfen oder Schlimmeres? Regen war das eindeutig nicht gewesen. Ich kroch in mich zusammen und klappte den Kragen meiner Jacke hoch. Sollte ich lieber spazieren gehen? Andererseits lockte mein Buch. Und immerhin waren dort, wo ich saß, keine Kleckse gewesen. Ich begann zu lesen – und wurde erst wieder auf die Welt um mich herum aufmerksam, als sich ein Pärchen näherte. Mit kritischen Blicken musterten sie den Boden und das Klecks-Muster auf Bank zwei. Sie gingen wieder. Auch ich machte erneut eine Risikoabwägung: Sitzen bleiben und weiterlesen, trotz der Gefahr getroffen zu werden – oder ziellos durch den Park wandern? Nach einem Blick auf die Uhr entschied ich mich für mein Buch.

Gründlich verkalkuliert

Das Studenten-Paar packte umständlich die Decke in einen Beutel und radelte davon. Mein Smartphone kündigte durch Piepsen eine WhatsApp an. Ich zog es aus meiner Jackentasche und klappte es auf. Klatsch! Von einem nassen Flatsch-Geräusch begleitet, landete ein grau-brauner Klecks mitten auf dem Display. Angeekelt schaute ich ihn an. Offenbar hatte ich mich bei meiner Risikoabwägung gründlich verkalkuliert. Aber immer noch besser als auf mein Buch, dachte ich spontan. Ich fischte ein Taschentuch aus meiner Hosentasche und wischte den Schiss weg. Das Taschentuch entsorgte ich direkt im Mülleimer neben mir. Da ich bereits stand, konnte ich auch zum Spaziergang aufbrechen. Wer weiß, wo der nächste Klecks landen würde? Auf meinem Kopf? Das Risiko war mir nun doch zu groß. Eine andere freie Bank in einer ungefährlicheren Gegend fand ich nicht. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass Gehen sowieso gesünder als Sitzen wäre – und ich abends im Bett noch lesen könne.

 

Foto: Nicole Hein

Nicole Hein ist freie Journalistin und Autorin mit den Schwerpunkten Gesundheit, Steuern, Lebensart & Wohnen.

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