Kein Bier für Nazis, keine Bratwurst für Nazis, keinen Kuchen für Nazis:…

Zu meinem letzten Beitrag bekam ich was zu hören bzw. zu lesen. Kritik kam aus zwei Richtungen. Die einen monierten, dass ich die Rolle des Staates bei der Gefährdung der inneren Wildnis nicht sehen würde. Die anderen wiesen darauf hin, dass mein offenkundig anarchischer Ansatz in die Irre führe: Ohne Staat könne eine fortgeschrittene Zivilisation nicht existieren. Mein Standpunkt ist eindeutig: Staat und Menschsein befinden sich in keiner besonders glücklichen Beziehung. Denn welche Beziehung wäre glücklich zu nennen, in der man zwangsweise mit einem Ungeheuer zusammenlebt?
Der Staat als Ungeheuer
Der erste Denker, der die Staatsgewalt als Ungeheuer sah, war Thomas Hobbes. In seinem „Leviathan“ beschrieb Hobbes 1651 den starken, souveränen Staat als Ungeheuer, das im beständigen Kampf gegen ein anderes Ungeheuer, Behemoth, liege. Behemoth symbolisiert die Kräfte, die sich gegen den Leviathan als organisierte Staatsgewalt auflehnen, das Chaos, das Anarchische. In Hobbes‘ Augen ist der Staat zwar ein Ungeheuer, an dem jeder menschliche Widerstand scheitern müsse, jedoch ein notwendiges Ungeheuer. Nietzsche bezeichnete den Staat später (im „Zarathustra“, 1883) als „das kälteste alle kalten Ungeheuer“. Ohne näher auf den Kontext beider Zitate einzugehen, lässt sich festhalten: Den Staat als Ungeheuer zu sehen, ist keine Sichtweise speziell der Gegenwart.
Im Unterschied zu früher geriete man heute allerdings in den Verdacht der Delegitimierung des Staates. Gehen wir also mit Bedacht zu Werke und fragen: Was macht das Ungeheure des Staates eigentlich aus? Der naive Blick auf den Staat ist dieser hier: Der Staat sorgt für dich, er kümmert sich um deine Ausbildung, deine Gesundheit, dein Wohlergehen. Er schützt dich vor inneren wie vor äußeren Feinden. Wenn du in Not gerätst, hilft er dir – wohlwollend, gerecht und fürsorglich. Dafür zahlen wir Steuern und andere Abgaben. Der naive Blick erkennt das Ungeheuer nicht oder hält es für ein Kuscheltier.
Der Staat und du als Mensch
Der etwas aufgeklärtere Blick sieht etwas anderes: Der Staat will dich bevormunden, schätzt dich nur in dem Moment, in dem du deine Stimme für eine staatsfromme Partei abgibst, dich nicht durch Kritik bemerkbar machst und ohne zu murren Steuern und Abgaben zahlst. Der Staat ist grundsätzlich nicht dein Freund. Genau das haben wir in Corona-Zeiten erlebt: Willkürliche Zwangsmaßnahmen und Eingriffe in die persönliche Entscheidungsfreiheit, die – wie man inzwischen aus den RKI-Protokollen weiß – sämtlich unbegründet waren. Der Staat produziert solche Krisen, er erzeugt Ängste. Warum? Damit der Untertan spurt und nicht auf dumme Gedanken kommt. Sonst könnte man in einer Zeit, in der der Staat selbst in eine Krise gerät, argwöhnen, dass der Staat die Ursache vieler Krisen und damit das eigentliche Problem ist.
Der vollends aufgeklärte Blick würde darüber hinaus wahrscheinlich erkennen, dass der Staat von einem Menschenschlag geführt wird, bei dem man sich nie ganz sicher ist, ob Bösartigkeit, Inkompetenz, Unwissen, Bereicherungssucht oder Dummheit das Handeln antreibt. Möglicherweise ist es eine Melange aus allen Merkmalen in variablen Anteilen.
Anders kann man es sich nicht erklären, dass z. B. unter dem Vorwand demographischer oder humanitärer Zwänge eine zügellose und ruinöse Massenmigration massiv gefördert wird, dass unter dem Vorwand der Bekämpfung einer angeblichen Klimakatstrophe Abermilliarden für unsinnige, natur- und umweltschädliche „Klimaschutzprojekte“ ausgegeben werden, dass zur Finanzierung solcher Politik Schulden in bislang ungekannter Höhe aufgenommen werden. Der Kontrafunk-Moderator Markus Vahlefeld macht in seinem jüngsten Buch „Die Krisenmaschine“ auf einige dieser Zusammenhänge aufmerksam.
Gesetzt nun, dieser vollends aufgeklärte Blick würde keiner Sehtäuschung unterliegen – wäre dann die Benennung des Staates als Ungeheuer nicht gerechtfertigt?
Wie kämpft man gegen Ungeheuer?
Nimmt man einem Ungeheuer die Nahrung, wird es verhungern. So die etwas schlichte, im Kern aber nicht falsche Vorstellung. Die Nahrung, von dem das Ungeheuer Staat lebt, sind u.a. die Steuereinnahmen, die keine Einnahmen, sondern Wegnahmen sind – also Raub. Das Ungeheuer lässt sich seine geraubte Beute aber nicht gern streitig machen. Hier bekäme man denn auch sehr schnell den Unwillen der Staatsmacht zu spüren: Steuern zu hinterziehen ist der Logik des Staates ein schweres Verbrechen und wird entsprechend hart geahndet. Da aber auch jeder Konsum mit Steuern belegt ist, würde eine Reduzierung des Konsums auf ein Minimum, sofern nur genügend Menschen dabei mittäten, das Ungeheuer zumindest auf Diät setzen.
Natürlich wurde und wird auch immer wieder über Gewaltakte gegen das Ungeheuer nachgedacht. Hier wäre beispielhaft (aber nicht unbedingt vorbildhaft) Ted Kaczynski zu nennen, der zwischen 1978 und 1995 ausgewählte Repräsentanten der von ihm als Feind von Natur und Freiheit ausgemachten technologischen Gesellschaft angriff.
Die Sache mit der Delegitimierung
Der Staat lebt jedoch nicht zuletzt davon, dass man ihn nicht in Zweifel zieht, ihm folgt, sein Handeln begrüßt, ihn mit freundlichen Augen betrachtet („Die Polizei – dein Freund und Helfer“, man denke aber auch an Politiker, die zutiefst beleidigt mehr „Respekt“ für ihr aufopferungsvolles Handeln einfordern). Die Antwort der Regierten auf die oben erwähnten Zumutungen wäre Liebesentzug. Das klingt zunächst sehr harmlos und sogar extrem naiv. Doch hier erweist das Ungeheuer sich in letzter Zeit erstaunlicherweise als besonders empfindlich. Wer sich der sogenannten „Delegitimierung des Staates“ schuldig macht, zieht die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich.
Mit „Delegitimierung“ gemeint ist, dass einer Missstände beim Namen benennt, Fehlverhalten kritisiert und Verantwortliche kenntlich macht. Die Kriminalisierung der Kritik geschieht, obwohl sie als Meinungsäußerung anzusehen ist und mithin kein Merkmal einer Straftat aufweist. Wenn man schon von Delegitimierung spricht, da müsste man ansprechen, dass der Staat sich durch sein Handeln selbst delegitimiert. Aber Ungeheuer lassen sich nicht gern auf ihre Ungeheuerlichkeiten hinweisen.
Für welchen Weg auch immer man sich entscheiden mag, aus der Zwangsbeziehung zum Staat auszubrechen, sollte wiederum Nietzsche Gehör schenken. Der warnte in „Jenseits von Gut und Böse“ in tiefer Kenntnis der menschlichen Seele: „Wer mit Ungeheuern kämpft, muss zusehn, daß er nicht selbst zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange genug in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund in dich zurück.“
Foto: Lutz Meyer