Wege gibt es heute so viele, dass wir uns ohne Wegeleitsystem nicht…

Shiva Nataraja, der tanzende Shiva im Flammenkranz, tanzt die Schöpfung und die Zerstörung. Ein Geschehen, das sich ewig wiederholt.
Shiva Nataraja: Die Symbolik
Shiva Nataraja ist vierarmig. Drei der Arme weisen vom Betrachter aus gesehen nach links. Die linke obere Hand hält eine kleine Trommel, Symbol der Urschwingung, in der die Welt erschaffen wird. In der rechten oberen Hand sehen wir das Feuer der Vernichtung, in das die Welt immer wieder eintaucht. Die untere rechte Hand weist auf den beim Tanz erhobenen Fuß, sie deutet auf die Leichtigkeit des Geschehens. Die mittlere linke Hand ist erhoben, die Handfläche zum Betrachter geöffnet: Sie zeigt an: Alles ist so in Ordnung. Unter dem anderen Fuß ein Zwerg, er symbolisiert das Ego.
Die Rolle des Egos
In der westlichen Welt wird das Ego als zentral angesehen: Alles dreht sich um das Ego. Shiva aber tanzt auf dem Ego. Folgt daraus, dass das Ego abzulehnen und aufzugeben ist, wie manche Weisheitslehrer meinen? Gerade nicht, das Ego ist wichtig. Das erkennen wir daran, dass der Gott Shiva auf ihm tanzt. Auch das Ego ist Teil des Kosmos, hat dort eine wichtige Funktion, es darf aber nur nicht zum Herrscher werden.
Wolf-Dieter Storl weist auf die schamanischen Züge des Ego-Zwergs hin: In der mystischen Schau der Zerstörung und Neuschöpfung erfährt der Mensch seine Bestimmung. Während das Tier selbstverständlich und ohne bewusstes Erkennen in dieses kosmische Geschehen eingebettet ist, ist es die Bestimmung des Menschen, das kosmische Geschehen von ewiger Schöpfung und Zerstörung zu erkennen und zu benennen.
Die Botschaft: Habt keine Angst
Wie die christliche Lehre von der Auferstehung uns die Angst vor dem individuellen Tod nehmen soll, nimmt Shiva Nataraja uns die Angst vor dem Weltuntergang. Der wird zwar stattfinden wie er schon oft stattgefunden hat, aber danach wird es wieder und wieder eine neue Schöpfung geben.
Die Angst zu verlieren bzw. sich gar nicht ängstigen zu lassen, ist heute wohl das Wichtigste überhaupt. Denn die Angsterzeugung ist die Geschäftsgrundlage der westlichen Welt. All die Ängste, die den Menschen eingeredet werden – vor Klimawandel, vor Krankheiten, vor Krieg, vor anderen Menschen und einiges Tages womöglich vor Außerirdischen – dienen dazu, sie als Masse gefügig und verfügbar zu machen. Verängstigte Menschen können leicht manipuliert und gegeneinander aufgebracht werden.
Die zum Betrachter hin geöffnete Hand sowohl in manchen Darstellungen von Jesus Christus als auch in der des tanzenden Shiva hat dieselbe Botschaft: Fürchtet euch nicht, es ist alles in Ordnung. Daraus erwächst eine ungeheure Macht. Die Macht, ein angstfreies Leben zu leben, frei von Manipulation und Missgunst.
Foto: Lutz Meyer