Dem Hahn wurden in alten Zeiten prophetische Kräfte zugeschrieben. Mit einem ironischen…
O lauterer Quell – sprudelnd steigst du aus der Erden Tiefen, ergießt dich heiter ins Felsenrund, Mensch und Tier zum erquickenden Trunk und Bad. Ach, wenn es doch so einfach wäre mit dem Wasser – hört man Leitungswasser- und Mineralwassertrinker miteinander streiten, welchem Wasser denn nun der Vorzug zu geben sei, möchte man schier verzweifeln. Anstatt dem anderen seine jeweilige Trinkvorliebe zu lassen, wird er wahlweise der ökonomischen Unvernunft, der ökologischen Fahrlässigkeit, der Ignoranz in Gesundheitsfragen oder gar der Dummheit bezichtigt. So rein das Wasser selbst auch sein mag – die Argumentation in Sachen Leitungs- oder Mineralwasser zeigt oft mehr als nur Spuren ideologischer Verunreinigung.
Wasserpragmatismus
Der Leitungswassertrinker hält sich für vernünftig und gibt sich gern als handfester Pragmatiker: Sein Trinkwasser kostet ihn so gut wie nichts (für den Großteil seines persönlichen Wasserverbrauchs sind in der Tat Toilettenspülung, Spülmaschine, Dusche und im Sommer der Garten verantwortlich, die zwei, drei Liter Trinkwasser am Tag fallen da nicht ins Gewicht). Sein Wasser verursacht keine langen, umweltschädlichen Transportwege per LKW. Es gilt – zumindest in Deutschland – als hochwertiges Lebensmittel, gesundheitlich unbedenklich und wird streng überwacht. Und Sorgen wegen möglicher Schadstoffabgabe einer Plastikflasche muss er sich auch nicht machen. Wer möchte da widersprechen? Das klingt extrem überzeugend. Aber nur so lange, bis der Mineralwassertrinker die Bühne betritt.
Die Tiefenargumentation
Auch der Mineralwassertrinker hält sich gerade unter Gesundheitsaspekten für vernünftig: Sein Wasser kommt in der Regel aus tieferen Grundwasserbeständen als das Leitungswasser, ist also im Gegensatz zum Leitungswasser, dem je nach Region bedeutende Anteile Oberflächenwasser beigemischt werden, deutlich unbelasteter durch Umweltschäden. Auch der Gesetzgeber sieht das so: Mineralwasser muss von ursprünglicher Reinheit sein – und da gehören beispielsweise Medikamentenrückstände, mögen sie auch noch so gering sein, nicht hinein. Weil dem Oberflächenwasser auch aufbereitetes Wasser aus dem Klärwerk zugeführt wird, das unter anderem mit zunehmender Tendenz eben genau diese Medikamentenrückstände enthält, gilt dem Mineralwassertrinker das Mineralwasser als gesünder. Nicht zuletzt aber gibt er dem Mineralwasser der namensgebenden Mineralien wie Calcium, Kalium, Natrium und Magnesium wegen den Vorzug – Leitungswasser enthält (wiederum von Region zu Region unterschiedlich) deutlich weniger dieser wichtigen Mikronährstoffe. Wenn überhaupt, dann findet man im Leitungswasser vor allem Kalk, das Waschmaschinen ruiniert und Spülen immer fleckig aussehen lässt.
Wahr ist, was gefällt
Der Leitungswassertrinker hält dagegen: Auch Mineralwasser könne verschmutzt sein, wie Testberichte bewiesen – bei Unregelmäßigkeiten in der Abfüllanlage oder bei Entnahme aus oberflächennahen Beständen könnten auch Schadstoffe oder gar Darmkeime hineingelangen. Doch dabei handele es sich, so wiederum der Mineralwassertrinker eher um Ausnahmefälle, während sie beim Leitungswasser viel häufiger gegeben seien. Bei einer Wasserentnahme in landwirtschaftlich intensiv genutzten Regionen sei auch der Nitratgehalt ein Problem. In den seltensten Fällen hat einer der Kontrahenten fundiertes biochemisches Wissen oder gar hydrogeologische Kenntnisse, sodass er erklären könnte, wie denn (außer den Schadstoffen) die Mineralien, die das Mineralwasser doch auszeichnen, überhaupt in das Grundwasser gelangen – man haut sich einfach die irgendwo angelesenen Fakten um die Ohren. Stets beschränkt man sich dabei auf diejenigen Fakten, die man selbst für wahr hält, weil man sie für wahr halten möchte. Dass hinter beiden Handelsformen des Lebensmittels Wasser auch ökonomische Interessen stehen, übersehen beide gern.
Wassergefüllter Graben
Spätestens jetzt ist der trennende Graben so tief, dass Argumente ihn nicht mehr überwinden können: Beide beharren auf der Richtigkeit ihres Standpunktes und machen die Frage des richtigen Wassers zur nicht zuletzt moralischen Überlebensfrage. Warum belässt man es stattdessen nicht bei der Feststellung, dass der eine halt lieber Leitungswasser, der andere aber lieber Mineralwasser trinkt? Immerhin könnte dieser Streit angesichts der Tatsache, dass in manchen Teilen der Erde sauberes Trinkwasser – gleich aus welchen Tiefen der Erde – ein knappes Gut ist, als ziemlich dekadent erscheinen.
Foto: Lutz Meyer
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