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Man muss sich schon wundern. Da regen sich Leute darüber auf, dass die EU Insekten als Nahrungsbestandteil zulässt. Leute, denen es ansonsten überwiegend gleichgültig sein dürfte, welche Substanzen sie sich mit ihrer täglichen Nahrung zuführen: all die Zusatzstoffe wie Farbstoffe, Emulgatoren, künstliche Aromen, Enzyme, Konservierungsmittel und teilweise nicht einmal deklarationspflichtigen Hilfsstoffe aus dem Chemiebaukasten werden klaglos geschluckt. Mikroplastik im Fleur de Sel und Pestzidrückstände im Brötchen – man hat sich daran gewöhnt. Fleisch aus Massentierhaltung wird oft ohne jeden Gedanken an die Umstände der Fleischerzeugung mit Genuss verzehrt. Kein Zurückschrecken wegen möglicher gesundheitlicher Folgen, kein Aufwallen des Ekels. Woher aber die Abneigung gegen Insekten auf dem Teller?

Länderküche und kulinarische Hochkultur

Manchmal hört man, dass der Mensch nichts essen solle, was mehr als vier Beine hat. Aber dann müssten auch Krabbe, Krebs und Hummer tabu sein. Oder liegt es daran, dass Insekten für das Unreine stehen, man sie – wie die Küchenschabe – mit eher unsauberen Lebensumständen verbindet? Bei vielen Völkern Afrikas, Australiens, Süd- und Mittelamerikas und Asiens gehört der Verzehr von Insekten seit Menschengedenken zur Alltagsernährung – Termiten, Rüsselkäfer, Heuschrecken, Wespen, Ameisen: Nichts, was da kreucht und fleucht, ist vor dem menschlichen Appetit sicher. Besonders die Larven- oder Raupenform ist begehrt. Manches wird gar als Delikatesse kredenzt: Eier von Wasserwanzen (aztekisch ahuauhtli) sind als Mexikanischer Kaviar bekannt.

Auch die europäischen Hochkulturen der Antike wie die der Griechen und Römer wussten die Larven von Bienen und Zikaden als Leckerbissen hoch zu schätzen. Was unseren eigenen Kulturkreis in der Gegenwart angeht, sei an den mit Steinsalz und Kümmel gewürzten Würchwitzer Milbenkäse erinnert – hier leben die Milben beim Verzehr sogar noch. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts kannte man vielerorts die Mailkäfersuppe, die vom Geschmack her an Krebssuppe erinnern soll. Muss man ja nicht essen. Aber warum sich gleich darüber aufregen, wenn andere das essen?

Das Moralisieren freilich schlägt einem auf den Magen

Der wahre Grund für die Aufregung könnte sein, dass Insekten verschiedenen Lebensmitteln wie Keksen, Snacks, Teigwaren, Suppen und Frühstückscerealien untergejubelt wird – und man gar nicht gefragt wird, ob man das essen möchte. Schwer wiegt auch, dass der Verzehr von Insekten vor allem von Institutionen und Leuten propagiert wird, denen allgemein ein chronischer Hang zur Bevormundung anderer nachgesagt wird: Ihr müsst Insekten essen, um das Klima zu schützen, aus Nachhaltigkeitsgründen, aus sozialen Gründen, aus Tierwohlgründen usw. usf. Also ideologisch motivierte Ernährungsvorschriften. Auch ich lasse mir keine Vorschriften machen, was mir auf den Teller kommt. Aber das ist kein grundsätzliches Argument gegen Insektenverzehr. Soll doch jeder das essen, was ihm gefällt. Und bislang Unbekanntes einmal zu probieren, kann auch nicht verkehrt sein. Wenigstens in der Küche.

Foto: Lutz Meyer

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.

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