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Sinnsuche: Sinn findet sich auch im Allerkleinsten

Menschen sind auf Sinnsuche. Das waren sie schon immer. Aber heute sind sie es ganz besonders. Das liegt wohl auch an den chaotischen Zeiten, am Gefühl der Entwurzelung und daran, dass immer mehr Menschen auf ihrem Lebensweg Schiffbruch erleiden. So entsteht eine geistig-seelische Bedrohungslage, auf die geantwortet werden muss, will man sich nicht verlieren. Im Zentrum der Sinnsuche steht heute meist nicht irgendein Gottesglaube, sondern der Geist, der sich nach der Einswerdung mit dem Universum sehnt.

Sinnsuche: Lässt sich Geist lokalisieren?

Dass der Geist irgendwo im Gehirn zu lokalisieren ist, scheint ausgemacht. Aber ist das wirklich so? Im Gehirn finden zwar die viel beschworenen neuronalen Feuerwerke statt, die dann im Funkenflug für Erleuchtung sorgen.

Aber was ist mit dem Herzen, mit dem man bekanntlich besser sieht? Hat nicht auch das Herz Teilhabe? Oft wird das Herz oder das nebenan gelagerte Sonnengeflecht als Sitz der Seele lokalisiert. Geist und Seele – lässt sich das in unserem Kontext überhaupt sinnvoll trennen?

Oder sitzt der Geist noch tiefer – und äußert sich in Bauchgefühlen? Schließlich spricht man ja auch vom Darmhirn oder einer Darm-Hirn-Achse. Manche munkeln gar, dass der Geist vielleicht auch noch eine Etage sitzen könnte – man redet dann vornehm-esoterisch vom Sakral-Chakra. Andere behaupten derb und schlicht, Männer seien schwanzgesteuert und auch Frauen würden in letzter Konsequenz nur mit dem Unterleib und an die Erfüllung ihres biologischen Auftrags denken. Wie und wo auch immer: Der Geist wird im Menschen gesucht. Aber ist er da wirklich?

Wo der Geist wohnt

Es gibt die durchaus plausible Behauptung, dass alles Geist sei – Materie als etwas vom Geist Unabhängiges wäre eine Illusion, jede Materie wäre demnach nichts anderes als eine Manifestation des Geistes von mehr oder weniger langer Dauer. Jeder Mensch, jedes Tier, jede Pflanze, jede Landschaft, jedes Gewässer und jeder Stein ist Geist. Ähnliche Gedanken kennt man aus den Religionen der Naturvölker, dem Animismus: Alles ist beseelt – ein Gedanke, der mir schon immer sehr sympathisch war.

Geist und Seele wären dann nicht nur in mir, sondern auch im Außen. Mein Gehirn ist dann nicht nur Auslöser von Geist, sondern zugleich Empfänger. Die Schädeldecke gleicht nicht von ungefähr einer Parabolantenne. Sie ist zwar nach unten gerichtet und nicht ins Universum, aber warum sollten die Signale nicht auch aus der Erde kommen oder von ihrer Oberfläche reflektiert werden?

Der Begriff Oberfläche wäre hier nicht abwertend gemeint – unter jeder Oberfläche liegen unendliche Tiefen, die sich in der Oberfläche spiegeln. So könnte man denken. Warum aber trennen wir die Oberfläche dann noch von der Tiefe?

Eins werden?

Es gibt eine Sehnsucht, jede Spaltung, jede Trennung, jeden Widerspruch zu überwinden, eins zu werden mit allem. Eine vollständige Harmonie, ein Einklang ist das Ziel. Akzeptiere ich, dass mein Innen zugleich mein Außen ist, ist die Einswerdung schon vollzogen. Das einzige Opfer, das zu erbringen ist, ist die Eitelkeit des Individuums, die Welt besser zu verstehen als alle anderen. Die Grenzen der Identität werden unscharf, verschwimmen, lösen sich auf. Wo alles eins wird, ist jede Unterscheidung gegenstandslos.

Foto: Lutz Meyer

 

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.