Die Frage, ob es die Götter wirklich gibt oder ober sie nur…
Konrad Lorenz prägte einst das Wort von der Verhausschweinung des Menschen: Ursprünglich den Launen der Natur, regelmäßigen Hungersnöten und anderen existenziellen Bedrohungen ausgesetzt, hat der Mensch es in Jahrtausenden geschafft, sich in eine zivilisatorische Komfortzone mit Supermarkt, Zentralheizung und einem Überangebot an Waren emporzuarbeiten. Dagegen ist nichts zu sagen. Außer dass der Komfortgewinn leider einen hohen Preis hat, den man nicht verschweigen darf.
Ein Prozess mit Folgen
Aus seiner Verhausschweinung erwuchsen dem Menschen die Anspruchsunverschämtheit (Botho Strauß) und die Wohlstandsverwahrlosung: Wir wollen mehr, mehr und nochmals mehr und glauben auch noch, dass es uns zusteht. Weil wir die technischen Möglichkeit haben, bekommen wir auch immer mehr. Doch es ist wie im Märchen „Vom Fischer und siner Fru“: Niemals sind wir zufrieden. Doch wir verlieren viel mehr als des Fischers habgierige Gemahlin im Märchen. Wir verlieren jedes sittliche Maß und einen Großteil unserer natürlichen Fähigkeiten.
Am Ende unserer Entwicklung steht die Unfähigkeit, sich ohne ein ganzes Arsenal an technischen und digitalen Hilfsmitteln durch die Welt zu bewegen. Man begibt sich gar auf den Weg des Transhumanismus, möchte den Menschen mithilfe von werkzeug- und waffenbewehrten Exoskeletten und implantierten Chips zu einem Übermenschen machen. In der Antike nannte man so etwas Hybris – eine Herausforderung der Götter, die für den Menschen nur böse enden kann.
Haben wir womöglich einen schlechten Tausch gemacht?
Die unangebrachte Arroganz der Spätlinge
Uns Heutigen ist kaum eine Epoche so verächtlich wie die Steinzeit. Sie gilt uns als Inbegriff des Rückständigen, Dummen, Primitiven und irgendwie Hochnotpeinlichen. Ich selbst habe, wenn ich einfache steinzeitliche Werkzeuge wie Schaber, Schneidewerkzeuge oder Beilklingen betrachte, eine gänzlich andere Empfindung: Ich bin voll der ehrlichen Bewunderung für die Findigkeiten und Fähigkeiten unserer Vorfahren, die mit allereinfachsten Mitteln und oft unter widrigsten Bedingungen ihr Leben meisterten.
Was man sich gar nicht oft genug klar machen kann: Hätte diese Vorfahren es nicht geschafft, unter Zuhilfenahme dessen, was ihre natürliche Umgebung hergab, zu überleben und auch noch Nachkommen zu zeugen, gebären und großzuziehen, würde es uns nicht geben – uns, die wir so affenstolz auf irgendwelche lächerlichen Geräte sind, die wir als einzelne Menschen nicht einmal selbst herstellen können, die überdies unsere Umwelt schädigen und uns abhängig machen von Prozessen, die wir immer weniger beeinflussen können und von denen nur die wenigsten noch sagen können, dass sie sie überhaupt ansatzweise verstehen. Das soll Fortschritt und als solcher begehrenswert sein?
Wir armen, armen Hausschweine
Ich empfinde es als beschämend, wenn Menschen sich nicht mehr ohne digitale Krücken wie Navigationssysteme durch die Welt bewegen können, doch viele meiner Artgenossen haben die natürlichen Orientierungssinne weitgehend verloren. Wahrhaftig: Wir sind längst keine Wildschweine mehr mit gesunden Trieben und Instinkten. Wir sind Hausschweine, die sich im eigenen zivilisatorischen Mist suhlen und ihren Schweinestall für einen Palast halten. Die Liste des Versagens ließe sich fortführen: Immer weniger Menschen sind in der Lage, aus frischen Zutaten selbst zu kochen oder ein Brot zu backen, geschweige denn, Grundnahrungsmittel anzubauen oder sich von dem zu ernähren, was die Natur saisonal gerade so hergibt. Sie würden ohne Aufbackpizza, Dosensuppen und Toastbrot schlichtweg verhungern.
Begibt man sich auf das Feld der Gesundheit, wird es vollends pervers: Wer kennt heute noch all die Heilkräuter, die zahlreiche Krankheiten lindern oder gar besiegen konnten? Wir setzen auf chemische Präparate, die zwar auch sehr effektiv und schnell helfen können, jedoch fast immer zahlreiche Nebenwirkungen haben und neue Krankheiten hervorrufen können. Inzwischen sind wir sogar soweit, dass wir unser körpereigenes Immunsystem, das eine Jahrmillionen währende Entwicklungsgeschichte hat und hervorragende Arbeit leistet, durch eine eilends zusammengepanschte gentechnologische Mixtur mit wiederum zahlreichen gefährlichen Nebenwirkungen ersetzen wollen.
Der Wahn, auf diese Weise dem Menschen ein neues Betriebssystem aufspielen zu wollen, kann nur in Geistern entstehen, die sich von allen natürlichen Lebensgrundlagen entfernt haben und deren menschliche Substanz grundverdorben ist.
Ihnen zu folgen, ist gefährlich. Lebensgefährlich.
Foto: Lutz Meyer
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