Wer kennt es nicht? „Mama / Papa ich muss morgen [hier beliebig…
Ich weiß nicht, ob es anderen auch so geht, aber bei mir wirkt diese Frage wie ein roter Knopf. „Was ist falsch mit dir?“ Zack! Schon heult in meinem Kopf ein Alarmsignal und ich switche in den Verteidigungsmodus. Streng genommen ist es nicht einmal eine Frage. Eher eine Aussage. Denn was soll die Antwort sein? Meine Wortwahl? Mein Denken oder sogar meine Nase?
Als ich „Was ist falsch mit dir?“, ein Synonym lautet übrigens „Was stimmt mir dir nicht?“, das erste Mal gehört habe, habe ich es direkt als persönliche Beleidigung aufgefasst. Nun weiß ich es besser, es ist schlichtweg Jugendsprache. Inzwischen hat sich der Ausruf längst bei Älteren eingebürgert, die sich für besonders jugendlich oder witzig – was davon weiß man nicht genau – halten. Ich halte mich zwar nicht für besonders altbacken, dennoch werde ich diesen Ausdruck ganz sicher nicht in meinen mündlichen oder schriftlichen Sprachgebrauch übernehmen. Aber ich habe mich am Wochenende dabei erwischt, wie ich ihn gedacht habe. Die Frage war sehr leise und tief in mir drinnen da: „Was ist falsch mit euch?“
Rodeln mit Tunnelblick
Ich war in den Bergen. Nun gut, im Harz. Ringsum im Flachland lagen nur noch matschige, weiß-graue Reste, doch je höher das Auto stieg, desto mehr der weißen Pracht türmte sich auf den Bäumen und Waldwegen. Die Skipisten waren offen, ebenso die Rodelstrecken. Die Leute strömten in Massen in die Schneefreuden. Wir auch, zum Schlittenfahren. Und das war der Fehler. Denn meine bisherigen Schlittenfahr-Erlebnisse hatten sich bis dahin weitgehend auf meine Kindheit beschränkt: Unsere Pisten hatten sich auf einem Hügel im Wald befunden, den wir herunterruntergerutscht waren. Erwachsene hatte man nur vereinzelt gesehen, die älteren Kids hatten auf die Jüngeren geschaut und wer die Bahnregeln nicht kannte, wurde beherzt auf sie hingewiesen: Hoch ging es rechts – und nur dort! Nach dem Rodeln wurde sofort die Piste frei gemacht und wer zu Fuß mit seinem Schlitten auf der Rennstrecke herumgebummelt war, war des Todes.
Ein völlig anderes Bild bot sich mir auf der 1,4 Kilometer langen Rodelstrecke des Bocksbergs beim Kurort Hahnenklee. Leute schlenderten links und rechts der Piste den Berg herauf – und auch wieder herab. Manche von ihnen machten dort sogar Pause, während einen Meter entfernt die Schlittenfahrer heruntersausten. Eine Mutter beruhigte ihr heulendes Kleinkind direkt auf der besten Rodelspur und ein älteres Kind stand träumend am Rand, das Zugseil seines Schlittens quer über die Piste gespannt. Unten angekommen, diskutierte Jung wie Alt die rasante Fahrt in Ruhe aus – anstatt zügig den nächsten Rodlern Platz zu machen. Mir lag „Was stimmt mit euch nicht?“ förmlich auf den Lippen. Selbstredend, dass ich es nicht ausgesprochen habe.
Allerdings spekulierten wir auf der Heimfahrt im Auto noch lange, warum das, was unter Kindern bestens lief, heutzutage mit Familien anscheinend kaum noch funktioniert.
Foto: Nicole Hein