Auf Würde antwortet man mit Respekt. Während mein Respektometer beispielsweise beim derzeit…
Ein Tag im Leben eines Freiberuflers ist verhältnismäßig ungesellig. Und das momentan noch mehr als sonst. In mein Homeoffice kommt niemand, um mir den neusten Tratsch über die blonde Kollegin zu erzählen, die angeblich mit dem netten, dunkelhaarigen Kollegen in der Mittagspause gesehen wurde. Auch treffe ich nie zufällig jemanden, wenn ich mir einen Kaffee koche oder die Post hole. Überhaupt ist der Postbote an einem gewöhnlichen Arbeitstag der einzige Mensch, der mit mir von Angesicht zu Angesicht, natürlich auf Abstand, ein paar Worte wechselt. In dieses ruhige Dahinfließen von Tagen brach neulich eine wahre Flut von unmaskierten Besuchern.
Emsige Tierchen
Die Sonne schien, ich hatte mein Dachfenster gekippt und saß in meine Arbeit vertieft am Schreibtisch. Plötzlich brummte es hinter mir. Die Besucherin war eine kleine, sehr pelzige Biene, die aufgeregt im Zickzackflug durch den Raum surrte. Ach, du bist gekommen, um mir vom Frühling zu erzählen, der draußen Einzug gehalten hat, dachte ich. Ich bedankte mich höflich, öffnete beide Fenster weit und bugsierte das kleine Insekt heraus. Kaum saß ich wieder und hatte mich in meinen Text vertieft, da klopfte es gegen die Scheibe. Tock, Tock, Tock-tock. Der Rhythmus wurde immer schneller und nervöser: Die nächste Biene hatte den Weg herein gefunden – und suchte nun verzweifelt den Ausgang. Abermals wedelte ich das winzige Tier in die Freiheit. Nach ungefähr der fünfzehnten Biene gab ich auf, schloss das Fenster und lief nach unten, um mir erstmal einen Kaffee zu kochen. Als ich an der Terrassentür vorbei kam, sah ich die Bescherung: Direkt vor der Scheibe schwirrten mindestens so viele Bienen, wie an einen sonnigen Vor-Pandemie-Samstag Menschen in Kölns Fußgängerzone unterwegs sind. Die Insekten waren auch genauso emsig und schienen ein mir geheimes Ziel zu verfolgen.
Wohnlicher Backstein
Nun habe ich nichts gegen einzelne Bienen. Im Gegenteil. Doch mit einem ganzen Volk möchte ich nicht meinen kleinen Doppelhausgarten teilen. Ich sah mich schon den Sommer drinnen verbringen, während sich die Bienen draußen immer zahlreicher an meinen gepflanzten Blumen erfreuten. Rat musste her, beschloss ich und rief eine befreundete Hobby-Imkerin an. Sie riet mir, nach einem Nest mitsamt der Königin Ausschau zu halten. Falls es das gebe, könnte ein Imker das Volk mitnehmen und umsiedeln. Abends, als die Bienen ihren Flugverkehr eingestellt hatten und nur noch vereinzelte Insekten unterwegs waren, machte ich mich in guter Sherlock Holmes Manier auf die Suche. Durchs Badezimmerfenster stieg ich aufs Garagendach und suchte von oben, per Leiter von unten. Als ich kein Nest fand, verglich das Aussehen der Bienen im Garten mit Bildern aus dem Internet. Das Ergebnis brachte schließlich Entwarnung: Was sich bei den ersten warmen Sonnenstrahlen auf der Terrasse getummelt hatte, und in den Ritzen Hauswand aus Backsteinen wohnte, waren Wildbienen der Gattung „Rostrote Mauerbiene“.
Friedliche Koexistenz
Diese meistens etwas kleineren und dunkleren Verwandten der Honigbiene bilden keine Völker, sondern leben einzeln. Wenn sie ausgeschwärmt sind, verschwinden sie von ihren Brutstätten. Und gefährlich sind sie auch nicht, weil Wildbienen sehr friedlich sind und nur stechen, wenn man sie beispielsweise zwischen den Fingern quetscht. Da ich das nicht vor habe, dürfen die Bienen bleiben. Jedoch werde ich in den nächsten Tagen mein Bürofenster geschlossen lassen. Als langjährige Freiberuflerin bin ich schließlich an meine ungeselligen Bürotage gewöhnt.
Fotos: Nicole Hein (Honigbiene / Rostrote Mauerbiene)
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