Skip to content
Teppichklopfer und Zwiebel als Lehrmeister der ewigen Wiederkehr

 

Man muss keinen Elfenbeinturm bewohnen, um über das Phänomen der Zeit nachzudenken. Die häusliche Umgebung und was wir in ihr vorfinden, reicht völlig aus. Hören wir auf das, was Teppichklopfer und Zwiebel uns zu sagen haben.

Wenn Fenster in die Zeit sich öffnen

Im Traum und Rausch ist der Geist in Welten unterwegs, die ihm sonst verschlossen bleiben. Das wird meist einer biochemisch befeuerten Einbildungskraft zugeschrieben. Doch auch in der Mittagseinsamkeit eines stillen, entlegenen Ortes kann diese seltsame Entrücktheit vom Geist Besitz ergreifen. Der Geist steht nicht unter dem Einfluss psychoaktiver Substanzen und ist trotzdem abwesend. Ein raumzeitliches Mysterium: Wir sind anwesend im Hier und Jetzt und zugleich sind wir es nicht. Wer könnte uns das besser vor Augen führen als ein Teppichklopfer und eine Zwiebel?

Monotonie der Zeitschiene

Auf der Zeitschiene reiht sich Jetztpunkt an Jetztpunkt. Kaum da, ist er auch schon wieder vergangen und lässt sich weder festhalten noch wiederholen, er entschwindet ins Nichts. Versuche des Festhaltens für eine spätere Wiederholung – etwa durch Ton- oder Bildaufnahmen – rufen Erlebtes zwar in die Erinnerung zurück, nicht jedoch in jene starke Präsenz, die nur der gelebte Augenblick selbst zu bieten hatte. Es ist wie die Konserve im Vergleich zur frischen Frucht.

Doch die Zeitschiene in ihrer Monotonie ist nicht die einzige Weise, in der wir Zeit erleben können. Die Endlosschleife – wie der Keltenknoten oder der Buddhaknoten oder selbst triviale Haushaltsgegenstände wie ein Teppichklopfer sie zeigen – steht nicht zuletzt für das Zeitmodell der ewigen Wiederkehr des Gleichen.

Zeit als Wiederkehr

Während auf der Zeitschiene die Jetztpunkte gleichförmig ablaufen und niemals wiederkehren, ist die Endlosschleife Symbol der Wiederkehr. Genauer gesagt der ewigen Wiederkehr des Gleichen – wohlgemerkt nicht des ewig Gleichen, denn die Wiederkehr ist anders als eine TV-Wiederholung immer eine Abwandlung und darum niemals öde und langweilig.

Es sind die gestaltenden Muster, Ausdrücke pulsierenden Lebens, die wiederkehren, nicht die konkreten Inhalte – man denke etwa an die Kulturzyklen Oswald Spenglers oder an die Wiederkehr der Seelen in anderer Gestalt im Hinduismus (Samsara). Im Unterschied zur endlosen Linie der Jetztpunkte auf der Zeitschiene gibt es im Denkmodell der ewigen Wiederkehr keinerlei Fortschritt. Es ist Stillstand, der zugleich die höchste Form der Bewegung ist.

Herkunft und Künftiges

Im Leben der ewigen Wiederkehr begegnet uns das, was uns immer schon begegnet ist und immer wieder aufs Neue begegnen wird – in veränderter Form, aber im Muster identisch. Es gibt nichts Neues, nur Vertrautes in gewandelter Gestalt.

Wenn uns im Traum, im Rausch oder im Tagtraum etwas Seltsames begegnet oder anfliegt, sind es aufblitzende Erinnerungen an Gewesenes und zugleich Kommendes. Nichts ist jemals so weit entfernt wie das Vergangene oder Künftige auf der endlosen Zeitschiene – in der Wiederkehr hingegen ist alles jederzeit zum Greifen nah auf der steten Umlaufbahn. Was hinter uns her und doch auf uns zukommt, ist nicht nur das, was wir als Individuum jemals waren oder künftig sein werden. Es ist umfassender.

Zeitschalen und Wiederkehr: Teppichklopfer und Zwiebel öffnen Türen

Unser Leben ist eingebettet in das große Leben – Geschichte, Naturgeschichte und Kosmogonie. Wie in einer Zwiebel liegen diese Schichten umeinander, Kugelschalen gleich, um zeitlose und unausgedehnte Kerne angelegt. Auch hier ist alles zu jeder Zeit präsent – und kann überall und immer im Bewusstsein aufscheinen. Augenblicke, in denen dies geschieht, haben oft etwas Unheimliches. Vor diesem Unheimlichen sollten wir nicht weglaufen, denn es ist das Heimische, das wir als solches zu erkennen verlernt haben. Zwiebel und Teppichklopfer bringen uns, so wir sehen können, dem wieder näher.

Foto: Lutz Meyer

 

 

 

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.