Uralten indischen Traditionen folgend, lassen sich im Menschen unterschiedliche Chakren bzw. Energiezentren…
Der Mond, die menschliche Seele und der Raum, in dem wir uns gerade aufhalten, haben etwas gemeinsam: Wir nehmen stets nur die uns zugewandte Seite wahr. Die Rückseite, die andere Seite, dass, was in unserem Rücken geschieht, entzieht sich der Wahrnehmung. Die 360°-Sicht gehört nicht zu unserer Grundausstattung.
Die beschränkte Perspektive
Wir können über die uns abgewandte Seite spekulieren, wir können uns mit Informationen über sie versorgen und uns auch umdrehen. Doch dann würden wir wiederum nicht das Ganze wahrnehmen, sondern erneut nur das, was wir gerade in den Blick nehmen. Wir versuchen, uns so ein vollständiges Bild zu machen. Doch zu einer wirklich allumfassenden Ansicht zu gelangen, ist nahezu unmöglich. Wir können immer nur eine Perspektive einnehmen, nicht mehrere gleichzeitig. Wo wir es versuchen – etwa im Rahmen einer klassischen Erörterung von Pro und Kontra –, wird auch das nur unserem jeweils eingenommenen Standpunkt entsprechen.
Objektivität – also die Fähigkeit, das Objekt unserer Betrachtung in seiner Totalität wahrzunehmen – ist uns nicht möglich. Was möglich ist, sind Annäherungen: Schlaglichtartige Einsichten, blitzartige Erkenntnisse. Doch um diese jähe Erhellung herum versinkt alles andere im Dunkeln.
Können wir den anderen jemals ganz begreifen?
Das passiert auch bei Begegnungen mit Menschen. Selbst in langjährigen Beziehungen wird der eine den anderen niemals zur Gänze begreifen. Er sieht nur die Eigenschaften, die er sehen möchte – sei es, weil er sich in diese Eigenschaften verliebt hat, sei es, dass er der Kritiksucht verfallen ist und nach weiteren Beispielen für das unmögliche Benehmen des anderen fahndet. Selbst wenn man unterstellt, dass der andere niemals nur die erwünschten oder unerwünschten Eigenschaften hat, bleibt das Bild des anderen merkwürdig verschwommen, changierend, unklar.
Doch ist das wirklich ein Mangel? Das Wissen, niemals den ganzen Raum auf einen Blick wahrnehmen zu können, ist ein Weckruf für die anderen Sinne: Bislang haben wir nur das gestreift, was das Auge bzw. das geistige Sehen wahrnimmt. Doch wir können außerdem riechen, hören, den Tastsinn nutzen, schmecken und auch Instinkt und Intuition zu Rate ziehen. Wir erkennen die Welt nicht im Ganzen, aber wir spüren sie im Ganzen. Wir spüren das, was hinter uns passiert, was auf der anderen Seite geschieht. Doch auch das bleibt schemenhaft – sobald wir versuchen, das Erfühlte in Worte zu fassen, zerschellt es an den Klippen der Sprache.
Grenzen der Sprache
Je ausgefeilter unser Sprechen ist, je schärfer unsere Fassungen des Wahrgenommen sind, desto sicherer bezieht es sich nur auf das Gesehene und mit dem geistigen Auge Erblickte. Alles andere – also das Erfühlte, Erahnte, Erschmeckte, Erhörte und auch das Unerhörte – bleibt im Raum des Nichtsagbaren. Wo wir es dennoch versuchen, bekommt unser Sprechen oft unfreiwillig komische Züge, verliert sich im Stammeln und Schwammigen.
Was daraus folgt? Wir sollten uns damit abfinden, Totalitäten niemals zur Gänze im klaren Wort erfassen zu können. Begnügen wir uns damit, den Rest zu spüren – und im tiefsten Inneren unserer Ahnung sicher zu sein,
Foto: Lutz Meyer (Das Bild des nur halb auf- und wahrgenommenen Raumes zeigt übrigens einen Innenraum des Heidekruges am Südrand von Münsters Rieselfeldern – ein Besuch sowohl des Heidekruges als auch des Vogelschutzgebietes Rieselfelder lohnt sich allemal)
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