Uralten indischen Traditionen folgend, lassen sich im Menschen unterschiedliche Chakren bzw. Energiezentren…
Das Werk M. C. Eschers ist gut geeignet, sich die unterschiedlichen Arten zu vergegenwärtigen, mit denen unser Geist auf Dinge reagieren kann, die sich dem normalen Sehen und Denken widersetzen.
Die Verblüffung
Da ist zunächst das Erstaunen, mit der der Geist auf ein Faszinosum, eine Sensation reagiert: Der Künstler, der das Nichtalltägliche darstellt, führt den Betrachter hinter die Fichte. Das reine Gaffen ist noch kein Erkennen oder Verstehen, eher eine Störung des Alltags, der man aber nicht weiter nachgehen muss. Die Störung hinterlässt vielleicht Heiterkeit, vielleicht auch Unbehagen, ehe man sich wieder wichtigeren Dingen zuwendet.
Die technische Analyse
Andere Betrachter wiederum sinnen über die Technik nach: Wie hat er das gemacht? Hier geht es um das kunsthandwerkliche Verstehen. Manchmal führt das handwerkliche Verstehen zur Reproduktion, zur Kopie, in selteneren Fällen auch zu tieferer Aneignung, die dazu führt, dass man das Werk des Künstlers kongenial weiterführt. Künstlerische Eigenständigkeit lässt sich so kaum erreichen, wohl aber eine Fälscherwerkstatt gründen.
Die Einordnung
Die dritte Perspektive ist die der kunsthistorischen Einordnung. Sie kann aus fachlichem Interesse erfolgen – oder weil der Preis taxiert werden muss, wenn es sich um ein Original oder eine limitierte Auflage handelt. Dieser Betrachter hat bereits viel Kunst gesehen und über sie gelesen. Er lässt sich nicht verblüffen und ist auch nicht primär an der praktischen, der handwerklichen Seite der Kunst interessiert. Ihm geht es um die Einordnung, um das Erkennen eines Rasters, um die Etikettierung. Doch wie lässt sich ein M. C. Escher einordnen? Ein später Surrealist, ein verkehrter Konstruktivist, ein Klassiker im Gewand eines filigranen Holzschnitzers? Ist das überhaupt eigenständige Kunst oder nur ein fast schon postmodernes Spiel mit den Formen? Kunsthistorikern fiel es immer schwer, Escher einzuordnen. Eine Aneignung fand eher durch Mathematiker statt, sie erkennen bei Escher Problemstellungen wieder, die ihnen vertraut sind. Was ihnen auf abstrakter Ebene präsent war, finden sie hier in Vollendung anschaulich dargestellt.
Die Manipulation
Ein vierter Betrachter mag ins Sinnieren kommen über Fragen der Anschauung, der Wahrnehmung und die Art und Weise, wie unser Hirn Gesehenes verarbeitet. Hier geht es um Täuschung und Getäuschtwerden. Man möchte hinter die Methode der Manipulation steigen, den Trickser entlarven, indem man das Ganze auf der Ebene der Psychologie betrachtet. Das kann präventiv genutzt werden, aber auch als Anregung für eine bewusste Manipulation der Wahrnehmung anderer.
Das letzte Verstehen
Zu guter Letzt kann uns das Werk Eschers auch dazu bringen, die Welt, wie unsere Wahrnehmung sie baut und ordnet, generell zu hinterfragen. Hat der Künstler hier womöglich gar nicht tricksen und manipulieren wollen, sondern schlich etwas wiedergegeben, was er selbst als eine Art Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit gesehen hat? Die Betrachtung der unmöglichen Figuren verweist uns auf Möglichkeiten, die unser Geist vielleicht hat. Das Kunstwerk als Zauberspiegel, als Eintrittstor ins Wunderland. Ein ähnlicher Blick hinter die Kulissen kann im Rauschzustand gelingen.
Diese Ebenen des Betrachtens lassen sich auf so ziemlich alles übertragen, was uns an Befremdlichem im Leben begegnet.
Foto: Lutz Meyer
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