Menschen sind auf Sinnsuche. Das waren sie schon immer. Aber heute sind…
Die Stille ist nicht nur zu hören, sie ist auch zu sehen. Sie scheint vom gesamten See auszugehen, denn das Wasser ist so trüb und dick, als würde es jedes Geräusch schlucken. Tief kann der morastige See mitten im Wald nicht sein, weil er mehr ein Überbleibsel des Hochwassers im Frühjahr ist als ein richtiger See. Er besitzt noch nicht einmal eine Uferböschung, sondern läuft einfach im Moos des Bodens aus.
Als ich näher an das Wasser herantrete, um einen besseren Winkel für meine Fotos zu bekommen, erzeugen meine Schuhe ein schmatzendes Geräusch. Das ist der Moment, in dem mir die Stille auffällt: Wo andere Gewässer leise plätschern, verhalten gurgeln, Wellen rauschen – herrscht hier Stille. Kein Geräusch geht vom Wasser aus. Ich schaue auf das schwarze Nass, doch eine Bewegung an der Oberfläche suche ich vergeblich. Ich sehe keine Ente, keinen Frosch, noch nicht einmal einen Wasserläufer.
Der Klang des Wassers
Plötzlich bemerke ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung in den Bäumen: ein Vogel. Dann höre ich einen Kuckuck, das Summen unzähliger Mücken, das Säuseln des Windes in den Blättern der Bäume. Zwar ist der See still, doch die Natur ringsum nicht. Tatsächlich scheint sie mir umso lauter, je stiller der See daliegt. Kann das überhaupt sein? Singen die Vögel nicht immer gleich laut im Wald?
Als ich kurze Zeit später nach Hause radele, halte ich auf einer hölzernen Brücke über einem Fluss an. Prüfend höre ich über das fließende Wasser. Ich beobachte Fische, die nach Insekten schnappen, eine dahinpaddelnde Entenfamilie, segelnde Schwalben und schwirrende Libellen. Alles mischt sich zu dem Klang, den ich kenne, wenn ich am Rand eines Gewässers stehe – und den ich am morastigen Waldsee vermisst habe. Ob das immer so ist? Ich beschließe, den Tümpel bei meiner nächsten abendlichen Radtour wieder zu besuchen.
Foto: Nicole Hein