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Alles, was wir sehen, versucht unser Verstand zu identifizieren, einzuordnen und zu bewerten. Unbekanntes wird klassifiziert, bekommt seinen Platz in unserem Bewusstsein zugewiesen. Bei der nächsten Begegnung wissen wir dann, was wir da vor uns haben. Oder zumindest glauben wir es zu wissen.

Ich sehe was, was du nicht siehst – oder vielleicht doch?

Denn nicht selten deuten wir Dinge abweichend von dem, was sie tatsächlich sind. Dieses obskure Gebilde etwa – gleicht es nicht einer Insel im blauen Meer, aus großer Höhe betrachtet? Im Sonnenlicht schimmern die kahlen Höhen, während in den Tallagen saftiges Grün dominiert. Im Inselinneren größere und kleinere Seen. Ein angenehmes Bild, es ruft Urlaubserinnerungen ins uns wach oder den Wunsch, auf dieser Insel ein Leben wie Robinson zu führen.

Was ist schon die Wirklichkeit gegen die Vorstellung der Wirklichkeit?

Doch die Vorstellung, die wir uns von dem machen, was wir sehen, hat hier nichts mit der Wirklichkeit des Gesehenen zu tun. Tatsächlich handelt es sich um einen Copper Slash (oder Splash Copper), um ein Zufallsgebilde aus Kupfer. Entstanden ist es, indem ein kreativer Mensch flüssiges Kupfer schwunghaft auf einen Betonboden gegossen hat. Nach dem Erkalten wurde eine grüne Schicht künstlicher Patina aufgetragen, die danach an manchen Stellen wieder wegpoliert wurde. Zum Schluss wurde das gesamte Gebilde lackiert, um natürliche Oxidationsprozesse zu verhindern.

Kein Fehler, sondern unser größtes Gut

Hat unser Geist, indem er aus dem Kunstgebilde eine Insel machte, einen Fehler begangen? Hier greift die Phantasie in das Geschehen ein – eine dem Menschen eigentümliche geistige Fähigkeit, über das Tatsächliche hinauszugehen. Das ist kein Fehler, sondern eine wertvolle Erweiterung unserer geistigen Möglichkeiten, von der wir leider nur selten Gebrauch machen.

 

Foto: Lutz Meyer

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.

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