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Die Korrektren ahnen nicht einmal, dass das Leben keine Norm ist

Die Korrekten – man könnte sie auch die Angepassten nennen, die Pflichterfüller, die Braven, die Loyalen oder auch die Gedankenlosen – sind nicht so harmlos, wie sie uns glauben machen wollen. Die Korrekten machen im Eifer ihrer Pflichterfüllung das Böse auch schon mal zu etwas Banalem, wie Hannah Arendt eindrucksvoll beschrieben hat.

Oder wie Ernst Jünger solche Charaktere einmal umriss: Heute locht er einem die Fahrkarte, morgen den Hinterkopf. Gut, Fahrkarten werden heute nicht mehr gelocht. Aber der moralische Automatismus – man tut, was die andern tun, man befolgt Vorschriften – wirkt davon unabhängig. Man sah es in den letzten Jahren und sieht es bis heute am Beispiel Corona.

Inzwischen ist es unabweisbar: Die Schwurbler, die Covidioten, die Coronaleugner hatten vollumfänglich recht. Kein Grund stolz zu sein, dafür sind die angerichteten Schäden zu groß. Aber ein Grund für all die anderen, endlich aufzuwachen, wäre es schon. Denn es spricht einiges dafür, dass ähnliche Betrugsmanöver sich in absehbarer Zeit wiederholen werden. Die Tatsachen liegen spätestens seit dem RKI-Leak für jeden, der lesen kann und möchte, auf dem Tisch. Lesen kann brutal sein. Denn es zerstört Lebenslügen.

Korrektheit und Normopathie

Doch die Betrogenen und durch Maßnahmen vielleicht um ihre Gesundheit Gebrachten begehren nun nicht etwa auf. Nein, viele von ihnen machen weiter. Sehen dankbar der angepassten Impfung entgegen, zupfen schon mal die Maske zurecht, begehren bei Halsschmerzen getestet zu werden und gehen selbstverständlich – man ist ja korrekt und auch ein Stück weit solidarisch – erst dann wieder raus, wenn man sich „freigetestet“ hat. Natürlich spielt auch Ängstlichkeit eine Rolle. Sehr korrekte Naturen haben nun einmal eine tiefsitzende Angst vor dem Chaos, das man Leben nennt.

Es sind Menschen, die der Psychiater Hans-Joachim Maaz unter dem Blickwinkel der Diagnose Normopathie ausführlich beschrieben hat. Tatsächlich leiden Menschen unter Normen – sie entwickeln unterschiedlichste Symptome auf körperlicher wie auch auf psychischer Ebene. Aber da der Zwang zum normierten Verhalten tief eingewurzelt zu sein scheint, kommt man von den Normen ebenso wenig los wie der Junkie von der Nadel.

Botschaft an die Korrekten: Es gibt Besseres als Korrektheit

Normen infrage zu stellen oder gar zurückzuweisen – das käme für die Korrekten kaum jemals in Betracht. Wo Unlust gegenüber der Norm sich regt, wird sozialer Druck ausgeübt. Gern wird – Follow the science, trust the science! – den Nichtbefolgern von Normen auch mangelnde Bildung oder Dummheit unterstellt. Oder man greift gleich zur Zensur: Lustigerweise heißt eine wohl überwiegend aus Steuermitteln finanzierte deutsche Zensurinstanz Correctiv. Doch allzu großen Aufwand müssen die Wächter der Normokratie gar nicht treiben: Gut 80 % der Menschen neigen von Natur aus dazu, Normen zu befolgen. Man nennt das auch Kadavergehorsam.

Die Verteidiger der Korrektheit als Charakterzug sagen gern, dass Korrektheit dem Leben Sicherheit, Verlässlichkeit und Stabilität verleiht. Das stimmt: Solange man sich an die Normen hält, weiß man, woran man ist. Doch was, wenn Normen zur tödlichen Gefahr werden? Man bleibt ihnen auch dann treu ergeben – zur Not bis in die Grube, die man sich selbst oder anderen gräbt. Korrektheit geht über Leichen. Auch ein Heinrich Himmler und ein Adolf Eichmann (um nur zwei besonders markante Vertreter dieses Charakterzugs zu nennen) waren in dem, was sie taten, überaus korrekt. Korrekt bis in den Massenmord.

Was aber dann? Wer Stabilität sucht und Verlässlichkeit, der bedarf nicht der Korrektheit. Korrektheit hat ihre Berechtigung in der Mathematik. In allen anderen Dingen reicht es, gleichermaßen auf den Verstand und das Herz zu hören. Mehr Sicherheit kann es gar nicht geben.

 

Foto: Lutz Meyer

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.