Zur Meditation zwischen den Jahren: Leben sehnt sich nach Geborgenheit, Leben braucht…

Der Stechapfel ist ein magisches Kraut: Als Gebräu eingenommen oder als Rauch inhaliert, vermag es Welten zu bewegen. Manch einen macht es zum Wahrsager, andere legt es in einen langen Schlaf, aus dem der eine oder andere nie wieder erwacht.
Stechapfel als Aphrodisiakum
Als Bestandteil von Hexensalben verschafft es Männern eine stundenlange, leider schmerzhafte Dauererektion (Priapismus) und verwandelt ehrbare Frauenzimmer in lüsterne, nimmersatte Nymphomaninnen. Die Kopulation eines gestechapfelten Mannes mit einer gestechapfelten Frau wird also nur sehr einseitig befriedigend sein. Kein Wunder, dass die Pflanze einen zweifelhaften Ruf hat und sogar gefürchtet wird.
Wie kam der Stechapfel zu uns?
Blätter, Wurzel, Blüte, Samen – alle Bestandteile dieser Pflanze sind hochwirksam. Stechapfelarten sind weltweit verbreitet. Eigentlich ist es müßig darüber zu spekulieren, wo sie zuerst heimisch war. Da der Stechapfel aber an mehreren Stellen im Garten der Lüste (ca. 1490 bis 1500) des Hieronymus Bosch vorkommt, ist es eher unwahrscheinlich, dass es sich um einen Import aus Mittelamerika handelt – Kolumbus machte seine große Entdeckung 1492, sein Augenmerk und auch das seiner Nachfolger lag zunächst mehr auf Gold, Silber und Edelsteinen. Eine wahrscheinlichere Theorie besagt, dass der Stechapfel vor sehr langer Zeit von Zigeunern aus Westasien oder Indien gar nach Mitteleuropa eingeführt wurde. Das fahrende Volk schätzte Kraut und Samen als Beförderer der Wahrsagekunst. Mit Blick auf Indien wird sogar gemunkelt, dass Stechapfelsamen auch Currymischungen beigefügt wurden.
Der Stechapfel als Freund
Von allzu unbekümmertem Experimentieren mit dem Stechapfel ist abzuraten. Dennoch hat diese magische Pflanze eine wichtige, über Rausch und Exzess hinausgehende Botschaft. Was sagt sie uns?
Sie rät zur Öffnung, ermutigt zum Überschreiten von Grenzen, zum beherzten Blick in die Zukunft und zur Bewusstseinserweiterung auch ohne stoffliche Unterstützung. Da aber jede Erweiterung und Ausdehnung des Geistes, jedes Wachstum der Seele ebenfalls mit Risiken verbunden sein kann (vor allem für diejenigen, die nicht mitwachsen), ist zu stetigem, aber maßvollem Umgang mit der Botschaft zu raten. Das Ziel sollte es sein, bei aller Öffnung für die Tiefen des Lebens und die Weiten des Kosmos geerdet zu bleiben.
Foto: Lutz Meyer