Es gibt genügend Gründe, sich im Hier und Jetzt nicht immer wohl…
Fingerhut und Tigerlilie: Auch sie sprechen zu uns, so wir denn gewillt sind, ihnen zuzuhören.
Fingerhut
Der Fingerhut, in der überlieferten Volksheilkunde verabreicht bei Herzschwäche, ist eine Pflanze von mächtiger Gestalt. Ihr Wuchs ist kraftvoll, mühelos und in nur kurzer Zeit erreicht der Fingerhut Wuchshöhen von anderthalb Metern. Auf Waldlichtungen leuchten die rot- bis purpurfarbenen Blüten schon von weit her. Begegnet man der Pflanze in der Morgen- oder Abenddämmerung, ist die Wirkung noch stärker. Die Pflanze scheint einer magischen Welt, einer Märchenwelt zu entstammen. Sie hat sofort unsere Aufmerksamkeit. Nähern wir uns, tun wir dies mit Bedacht – aus gutem Grund. Einer solchen Pflanze darf man zutrauen, die Pumpkraft des Herzens zu steigern. Doch Obacht: Alle Pflanzenteile sind giftig, schon einige wenige Blätter können tödlich sein. Dies bringt die Pflanze durch die Farben und Mustern ihrer Blüten unmissverständlich zum Ausdruck. Giftwirkung und Kraft vereinen sich.
Sehen mit dem dritten Auge
Auch die Tigerlilie hat neben der Heilwirkung eine Giftwirkung. Doch wer mit dem dritten Auge hinsieht, dem erschließen sich ganz andere Tiefen. Mustergültig zeigt dies Ernst Jüngers Betrachtung der Tigerlilie in „Das Abenteuerliche Herz – Figuren und Capriccios“ (1938):
„Lilium tigrinum. Sehr stark zurückgebogene Blütenblätter von einem geschminkten, wächsernen Rot, das zart, aber von hoher Leuchtkraft und mit zahlreichen, schwarzblauen Makeln gesprenkelt ist. (…) Staubgefäße von der narkotischen Farbe eines dunkelrotbraunen Sammets, der zu Puder zermahlen ist. Im Anblick erwächst die Vorstellung eines indischen Gauklerzeltes, in dessen Inneren eine leise, vorbereitende Musik erklingt.“
Fingerhut und Tigerlilie: Was bei solchen Betrachtungen eigentlich geschieht, ist die Herstellung einer Verbindung zwischen Mensch und Pflanze. Wolf-Dieter Storl spricht von den Pflanzen-Devas, den geistig-seelischen Dimensionen der Pflanze. Sowohl bei Storl als auch bei Jünger lässt sich nachvollziehen, was bei solchen Annäherungen geschieht, welche Denkbewegungen stattfinden. Erleben lässt es sich nur im unmittelbaren Bezug zur Pflanze.
Foto: Lutz Meyer