Die Haselnuss zählt zu den ersten Gehölzen, die Norddeutschland nach der Eiszeit…
Steine fälschen? Klingt zunächst etwas skurril. Steine liegen schließlich überall herum, Originale in Hülle und Fülle. Warum sie also fälschen? Die Fälscherabsicht kommt dort ins Spiel, wo es um etwas Seltenes, Wertvolles geht. Um Edelsteine zum Beispiel. Doch auch minderer Stein wie etwa Feuerstein wird zuweilen gefälscht – oder genauer: verfälscht.
Relikte der Ahrensburger Kultur …
1907/08 stieß man in Neustadt/Holstein im Zuge von Ausschachtungsarbeiten oberhalb der Hafenostseite auf ein Klingendepot saisonal durch das Land streifender Jäger der nacheiszeitlichen Ahrensburger Kultur (ca. 10.500 bis 9.600 v. Chr.). Das östliche Holstein war damals – bei infolge steigender Temperaturen langsam zurückweichenden Gletschern – nur in den Sommermonaten eisfrei, die Jäger folgten den in den Norden ziehenden Rentierherden. Die im Depot enthaltenen Klingen, Schaber, Bohrer, Spitzen und Kernbeile waren nur roh zurechtgeschlagen. Am Ende der Jagdsaison hatte eine Jägergruppe ihr Materialdepot im Kies vergraben, um im nächsten Sommer wieder darauf zurückgreifen zu können. Doch dazu kam es aus unbekannten Gründen nicht. Die Artefakte blieben für mehr als Zehntausend Jahre in der Erde verborgen.
… werden zu Relikten der Ertebölle-Ellerbek-Kultur
Dieser Fund von der Hafenostseite war zwar der älteste, aber nicht der erste steinzeitliche Fund in Neustadt. Bereits einige Jahre zuvor hatte der Sanitätsrat Ernst Brüchmann bei ablandigem Wind in geringer Wassertiefe vor der Hafenausfahrt unzählige Klingen und Abschläge aus der Ertebölle-Ellerbek-Stufe (ca. 5.100 bis 4.100 v. Chr.) entdeckt – Hinterlassenschaften spätmesolithischer Jäger, Fischer und Sammler, deren Siedlungsplatz durch einen Meeresspiegelanstieg überflutet worden war. Diese Funde hatten großes Aufsehen erregt, erbrachten sie doch erstmals den Beweis, dass die Gegend schon sehr früh dauerhaft besiedelt gewesen war.
Begehrte Fälscherarbeiten
Ein bei den späteren Funden im Jahr 1907/08 anwesender Arbeiter namens Korn hatte mit untrüglichem Geschäftssinn erkannt, dass die einige Jahre zuvor gemachten Funde von der Hafenausfahrt bei Sammlern und Andenkenjägern höher im Kurs standen als die viel älteren Exemplare von der Hafenostseite – wohl, weil die Bearbeitungsspuren eindeutiger waren. Also retuschierte er mit einigem Geschick zahlreiche der von ihm an der Hafenostseite gefundenen älteren Klingen und machte sie so jünger. Anhand der Retuschen war eine Bearbeitung dann tatsächlich sehr viel eindeutiger zu erkennen. Touristen wie Einheimische, Laien wie Sammler ließen sich leicht davon überzeugen, dass es sich um echte Relikte aus der Ertebölle-Ellerbek-Stufe handelte, und kauften fleißig bei Herrn Korn ein. Wenn der begabte Retuscheur ein ebenso guter Geschichtenerzähler war, konnte er seine Werkzeuge sicherlich bestens an den Mann bringen – stimmiges Storytelling war schon immer unverzichtbarer Bestandteil professioneller Produktbewerbung.
Nicht unwahrscheinlich übrigens, dass der Arbeiter Korn alsbald nicht nur ältere Exemplare umfrisierte, sondern auch dazu überging, weitere „steinzeitliche“ Werkzeuge direkt aus am Strand oder auf den Äckern aufgelesenen Flintknollen zu schlagen. Als der Schwindel aufflog – bei genauerem Hinsehen zeigt sich an den retuschierten Stellen wie auch bei frisch gewerkelten Exemplaren, dass die typische Patina fehlt –, dürfte Korn längst einiges beiseitegeschafft haben. Ob er dafür je belangt wurde bzw. überhaupt belangt werden konnte, ist mir unbekannt. Sicher aber ist, dass auch solche historischen Fälschungen zu einem eigenständigen Sammelgebiet werden können.
Solche mehr oder minder authentisch wirkenden Nachbauten sind natürlich nicht ungewöhnlich. Wie hier nachzulesen, dürfte es bereits im Mittelalter und in der frühen Neuzeit Fälscher steinzeitlicher Artefakte gegeben haben, die ihre Produkte dann an den Bauern brachten als glückbringende Originalzeugnisse Thors, als „Thoriginale“ sozsuagen. In der Jetztzeit treiben begabte Flintschmiede ihr Handwerk sogar gänzlich ungeniert vor aller Augen – und bieten teilweise ganz ausgezeichnte Repliken an, diese allerdings anständigerweise nicht als Originale ausgebend.
Foto: Lutz Meyer / Die Stiftspitze zeigt auf eine von Korn nachträglich retuschierte Kante (nach: Jahrbuch für Heimatkunde im Kreis Oldenburg in Holstein, Jahrbuch 1959)
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