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Bei Brecht hieß es noch: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Heute ist’s wohl umgekehrt. Mit einer Finkenwerder Scholle auf dem Teller könnte ich mir jedenfalls mindestens zwei erhobene Zeigefinger einhandeln.

Den ersten wegen angeblich gefährdeter Fischbestände und den zweiten – Achtung, Speckwürfel! – wegen der unterstellten schädlichen Auswirkungen jeglicher Tierhaltung auf Umwelt und Klima. Ein dritter Zeigefinger würde mich vermutlich auf Tierleid oder sonstiges Elend hinweisen.

Solche Zeigefingerheberei findet – weil ja die Moral dahinter stimmt – ohne Prüfung des Sachverhalts statt. Die Scholle aus dem Fanggebiet Nordostatlantik ist derzeit nicht einmal ansatzweise im Bestand gefährdet. Und auch Tierhaltung ist nicht per se schädlich für Umwelt und Klima. Und wenn man – wie ich – höchstens ein- bis zweimal in der Woche Fisch oder Fleisch verspeist und dies auch in eher geringen Mengen, dann schon mal gar nicht.

Aber darauf kommt es den notorischen Zeigefingerhebern nicht an. Ihr Vorsatz ist es, anderen Menschen Appetit und Lebensfreude zu vergällen. Die Ursache eines solchen Verhaltens liegt nicht in edler Gesinnung, sondern im verdorbenen Charakter. Verbitterung und Selbsthass in Verbindung mit dem Hochgefühl moralischer Überlegenheit waren solchen Naturen schon immer zu eigen.

Früher traf man diese Verdrießlichen vorwiegend in Kirchen und Diätvereinen, heute nahezu überall, wo andere Menschen sich am Leben erfreuen. Vielleicht erlauben Allergien oder andere Leiden den Moralaposteln den Verzehr von Speck und Scholle nicht, also soll auch niemand anders Freude und Genuss daran haben.

Friedrich Hebbel hat ihnen in seiner Erzählung „Der Schneidermeister Nepomuk Schlägel auf der Freudenjagd“ ein hübsches kleines Denkmal gesetzt.

Foto: Lutz Meyer

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.

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