Dem Hahn wurden in alten Zeiten prophetische Kräfte zugeschrieben. Mit einem ironischen…
Unsere Sprache ist im Umbruch. Gewiss, Sprache war schon immer im Umbruch – Sprachgewohnheiten ändern sich mit der Zeit, neue Begrifflichkeiten entstehen aufgrund neuer Welterfahrung, manche Wörter geraten aus der Mode, weil sie die Lebenswelt nicht mehr spiegeln.
Sprache im Zangengriff von Ideolgie und Technik
Der massive Sprachumbruch unserer Tage allerdings hat andere Gründe. Er wird vor allem aus ideologischen Gründen vorangetrieben, wie es in allen totalitären Systemen schon immer üblich war und ist – hier waltet das Prinzip Neusprech aus Orwells 1984. Gendersprache und die Regulierung des Sprachgebrauchs mittels Ersetzung vertrauter Begriffe durch Neologismen oder willkürliche Sprachkonstrukte liefern sattsam bekannte Beispiele.
Zum Teil hat der Umbruch aber auch andere Ursachen. Hier geht es vor allem darum, den Sprachgebrauch an technische Bedürfnisse anzupassen wie etwa den Algorithmen von Suchmaschinen. Beide Eingriffe in die Sprache haben das Potenzial, gewachsene Sprache zu schädigen. Beide Eingriffe finden gleichzeitig statt.
Daraus resulitiert eine Bedrohung der Fundamente der Persönlichkeit: Sprache ist das ureigenste Ausdrucksmittel der individuellen Welterfahrung. Sprache drückt Empfindungen aus, Sprache vermittelt Einsichten und Erkenntnisse. Die so gewonnene Sprache formt wiederum das Miteinander und überhaupt unsere Sicht auf die Welt im Ganzen. Je freier unsere Sprache ist, desto freier und grenzüberschreitender auch unsere Selbst- und Weltwahrnehmung. Je schärfer und passgenauer unsere Begriffe sind, desto besser eignen sie sich als Schlüssel zum Weltverstehen. Und je farbiger und tiefer unsere sprachlichen Bilder sind, desto reichhaltiger unser Erleben und die Perspektiven auf das, was uns umgibt..
Zurück zu einer authentischen Sprache
Aber weder die ideologisch noch die technisch initiierte Verengung der Sprache haben ein Interesse an individueller Sprache. Im Gegenteil: Sie möchten die freie und individuelle Welterfahrung ja gerade verhindern und ersetzen entweder durch eine ideologische Kanalisierung („Korridor des Denk- und Sagbaren“) oder durch eine suchmaschinen- und KI-gerechte technische Normierung. Diese Sprache ist eine Sprache, die sich echter Lebenserfahrung und Wahrnehmung der Wirklichkeit bewusst entfremdet. Die Wirklichkeit selbst ist der Feind sowohl jeder Ideologie als auch jeder technischen Norm.
Demgegenüber gilt es, zu einer authentischen, selbstbestimmten Sprache zurückzukehren. Der erste Schritt besteht darin, Normierungen zurückzuweisen. Im zweiten Schritt ist die Entwicklung normierungsfreien Sprechens zu fördern. Dies setzt eine Befreiung des Geistes von aller Normierung voraus. Befreien wir uns also von diesen äußeren Zwängen, kehren wir in die Anfangsgründe der Sprache zurück, zu ihren Quellen und Ursprüngen. Das wäre ein echtes Aufklärungsprojekt im Sinne des kantischen sapere aude: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Nicht mehr und nicht weniger ist gefragt.
Foto: Lutz Meyer
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