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„Verschwörungstheoretiker” ist eines der beliebtesten Schimpfwörter der Gegenwart. Will man eine nicht genehme Ansicht erledigen, ohne sich der Mühe zu unterziehen, sie argumentativ zu widerlegen, greift man zum „Verschwörungstheoretiker“. Da dieser Begriff in erster Linie bei der Deutung politischer Zusammenhänge zum Einsatz gelangt, kann man ihn getrost als politischen Kampfbegriff verstehen.

Geschichtswissen ist wichtiger als man denkt

Darüber hinaus zeugt die Verwendung dieses Begriffs allerdings in den meisten Fällen von einem nicht einmal rudimentär vorhandenen Geschichtswissen. Wer sich nur ein ganz klein wenig in der Geschichte auskennt, wüsste nämlich, dass die gesamte Menschheitsgeschichte nichts anderes ist als eine fortgesetzte Kette von Verschwörungen. Hermann der Cherusker war so ein Verschwörer. Er lockte die Römer, die ihn für ihren Freund und Verbündeten hielten, in den Hinterhalt, um sie vernichtend zu schlagen. Warnungen anderer Germanenfürsten vor  Hermann nahmen die Römer nicht ernst – sie taten sie vermutlich als Verschwörungstheorie ab. Doch Hermann blieb nicht der einzige Verschwörer der letzten zweitausend Jahre. Die reichhaltige Geschichte der Verschwörungen führt weiter bis in die Gegenwart. Sie weist u. a. zahlreiche politische Attentate, inszenierte Kriegsanlässe und womöglich auch fingierte Seuchen und geplante Wirtschaftszusammenbrüche auf.

Zum Wesen der Verschwörung gehört es, von ihr abzulenken

Was überhaupt ist eine Verschwörung? Eine Verschwörung ist eine Handlung, die in der Regel darauf abzielt, bestehende Machtverhältnisse umzustürzen, um selbst an die Macht zu gelangen. Weitere wichtige Merkmale sind Verschwiegenheit und Verborgenheit. Insofern sind Verschwörungen so alt wie die Menschheit selbst und aus deren Geschichte nicht wegzudenken. Wer nun aber „Verschwörungstheoretiker“ als Kampfbegriff verwendet, ist entweder denkfaul oder er hat etwas zu verbergen – nämlich, dass er selbst möglicherweise ein Teilnehmer der bestrittenen Verschwörung ist, mit ihr sympathisiert oder sie billigt. Und wer im Glashaus sitzt, wirft halt nicht gern mit Steinen.

Solche und andere Verschwörungstheorien

Nun muss man nicht jeder Verschwörungstheorie Glauben schenken. Ob eine solche Theorie glaubwürdig ist oder nicht, hängt im Wesentlichen von ihrer Plausibilität ab. Trägt sie wirklich dazu bei, ein Ereignis besser zu verstehen? Fügen sich die Details zu einem sinnvollen Ganzen zusammen? Hält die Theorie einer sorgfältigen und um Objektivität bemühten Überprüfung stand oder nicht (nicht zu verwechseln mit der oberflächlichen Faktencheckerei in unseren Medien)? Ist sie rational nachvollziehbar? Eine solche Überprüfung erweist sich mitunter als schwierig, da man während einer laufenden Verschwörung naturgemäß nicht alle Fakten und Akteure kennen kann – sonst wäre es ja keine Verschwörung.

 

Foto: Lutz Meyer

 

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.

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