Skip to content

Den Verlockungen der KI zu widerstehen und geistig autonom zu bleiben, lohnt sich. Indem wir unsere kreative Intelligenz ständig fordern, trainieren wir unser Gehirn, machen es leistungsfähiger. Und wir behalten das letzte Wort und damit die Freiheit der Entscheidung gegenüber einer technischen Intelligenz, die sich anschickt, nach und nach alle Lebensbereiche zu erobern und zu einer Mega-Gouvernante zu werden. Doch was genau ist kreative Intelligenz?

Im Begriffssumpf der Kreativität

Im alltäglichen Sprachgebrauch ist alles kreativ, was irgendwie bunt und lustig und noch nicht an jeder zweiten Ecke zu sehen ist. Dieser Kreativitätsbegriff ist falsch, denn hier reicht es, ohne eigene geistige Anstrengung sich mit kreativen Attributen zu schmücken: Man hängt Gemälde an die Wand, die man nicht selbst gemalt hat, nutzt Designergeschirr, das man nicht selbst getöpfert hat, versendet über WhatsApp lustige Sprüche,, die man nicht selbst ersonnen hat, unterlegt seine Youtube-Videos oder Instagram-Reels mit Musik, die man weder selbst komponiert noch selbst eingespielt hat – und hält sich für kreativ. Und wer glaubt kreativ zu fotografieren, übersieht geflissentlich, dass die Kreativität oft in den technischen Möglichkeiten der Kamera steckt.

Neben diesem banalen und falschen Kreativitätsbegriff gibt es den sehr ambitionierten Kreativitätsbegriff der künstlerischen Schöpfung: Nur das von kundiger, begnadeter Hand geformte, gemalte, komponierte Werk ist wirklich im schöpferischen Sinne kreativ. Doch auch dieser elitäre Kreativitätsbegriff ist untauglich, weil er sich zu sehr auf die künstlerische Hervorbringung beschränkt.

Der dritte Kreativitätsbegriff bezieht sich auf Problemlösungen und Prozesse. Das können simple Alltagsverbesserungen oder organisatorische Vereinfachungen komplizierter Abläufe sein. Aber auch technische Erfindungen. Diese Form der kreativen Intelligenz lässt sich trainieren. Zu diesem Zweck findet man eine schier unendliche Zahl sogenannter Kreativitätstechniken: Methoden, die Menschen befähigen sollen, innovativ zu denken, neue Ideen zu generieren, systematisch um die Ecke zu denken, sich von überkommenen Denkmustern zu lösen, das Denken freier und offener für überraschende Lösungswege zu machen.

Was können Kreativitätstechniken leisten?

Anbieter von Kreativitätsseminaren versprechen das schier Unmögliche: Die Teilnehmer lernen innerhalb weniger Stunden oder eines Wochenendseminars oder eines regelmäßigen Coachings, zu einem wahren Innovationsmotor, zu einer Gebärmaschine für neue Ideen zu werden. Wer solche Kurse bucht, tut dies vor allem aus einem wirtschaftlichen Interesse: Ziel ist es, die Ergebnisse kreativer Denkprozesse abzuschöpfen und in unternehmerischen Gewinn zu verwandeln. Darin liegt zwar nichts Schlechtes. Es ist aber die Frage, ob es so überhaupt funktioniert.

Das Versprechen von Kreativitätsseminaren fußt auf der Voraussetzung, dass grundsätzlich jeder Mensch dazu gebracht werden kann, zu einem kreativen Denker zu werden. Nun gibt es aber Menschen, die sich gerade in der Routine am wohlsten fühlen, weil sie ihnen Sicherheit vermittelt. Dieser nicht gerade seltene Charaktertyp reagiert auf die ihm vermittelten Kreativitätstechniken fast immer so: Er hört interessiert zu, beteiligt sich an praktischen Übungen – und setzt abschließend seinen Erledigt-Haken dahinter. Zu einer systematischen Umsetzung im Alltag kommt es meist nicht – kann es auch gar nicht kommen, weil es der eigenen bislang gemachten Lebenserfahrung widerspricht, der zufolge man mit Routine an besten fährt. Man möchte nichts ändern. Wozu sich den Unsicherheiten aussetzen, die mit einer neuen Methode verbunden sind?

Der disruptive Irrweg der sogenannten kreativen Zerstörung

Auch Menschen, die prinzipiell etwas neugieriger sind und offener für alternative Lösungswege, führt die Vermittlung von Kreativitätstechniken oft in die Irre. Mit verheerenden Folgen. Denn sie lernen, wie wichtig es ist, aus herkömmlichen Mustern auszubrechen. Sie erlernen auch die Methode, wie man aus Mustern ausbrechen und Routinen kreativ zerstören kann. Sie können zu wahren Meistern disruptiver Prozesssteuerung werden.  Aber sie lernen nie, dass nicht die Zerstörung der Kern des Kreativen ist, sondern die Neuerschaffung, die konstruktive Neugestaltung.

Die westliche Welt leidet seit Jahrzehnten an einem Übermaß an kreativer Zerstörung, ohne dass es zu einem echten kreativen Neuaufbau kommt. Was geboten wird, sind Scheinlösungen wie etwa im Fall der sogenannten Energiewende: Eine relative Versorgungssicherheit wird zugunsten einer Versorgungsunsicherheit aufgegeben – denn die sogenannten erneuerbaren Energie aus Wind, Sonne und Wasserkraft sind weit entfernt davon, die Versorgungssicherheit der Vergangenheit auch nur annähernd zu gewährleisten. Überdies sind sie teurer und in ihren Folgeschäden für Natur, Umwelt und menschliche Gesundheit nicht ansatzweise durchdacht. In der Zerstörung ist man zwar außerordentlich erfolgreich, doch an echten Alternativen mangelt es. Und nur solche echten Alternativen wären eine wirklich kreative Problemlösung. Sind Kreativitätstechniken also vollkommen unnütz?

Der eigene Weg

Sich mit dem eigenen Denken zu befassen und seine Funktionsweise zu ergründen, ist niemals nutzlos. Überlegungen anzustellen, wie man manche Dinge schneller, effizienter und auch mal jenseits aller Routine erledigen kann, ist immer eine gute Idee. Man sollte sich nur nicht auf irgendwelche handlich verpackten Tools verlassen. In meinem persönlichen Erleben als kreativer Mensch kommt es auf ein paar wenige und sehr einfache Dinge an wie zum Beispiel diese:

  • In Bewegung arbeitet der Geist besser: Ein Waldgang oder Strandgang beseitigt Denkblockaden im Nu. Das funktioniert allein  zu zweit. Größere Gruppen sind allem Lob der Gruppenarbeit zum Trotz oft hinderlich.
  • Kreativität braucht guten Nährboden: Informationen, Eindrücke, Erkenntnisse. Also: viel lesen, viel anschauen, mit vielen Menschen reden. Und das Gelesene, Geschaute und Erfahrene auf sich wirken lassen. Nicht bloß oberflächlich, aufd em Weg einer durchdringenden Aneignung. Diese Humusschicht wird stärker, je länger und mehr man sammelt. Sie bilden einen wichtigen Teil des Unbewussten, das man in kreativen Denkprozessen anzapft. Die Verknüpfung dieser Elemente mit einer ganz konkreten Aufgabenstellung bringt die Lösung des Problems oft näher.
  • Mut zur inneren Wildnis: Man muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass die besten Ideen Ergebnis rationaler Denkprozesse sind. Die Ratio ist oft eher ein Hindernis, weil sie zu viele Bedenken vorträgt. Also: Raus ins Ungebahnte, Unbegangene! Hilfsmittel. Um dorthin zu gelangen, sind z. B. selbstvergessenes Tanzen, Trommeln bis zum Erreichen eines Trance-Zustands, starke körperliche Anstrengung. Natürlich können auch bewusstseinserweiternde Drogen individuelle Pfade in die Wildnis eröffnen. Allerdings wird man im Rauschzustand kaum in der Lage sein, den Ansturm der Eindrücke, Empfindungen und Gedanken so zu ordnen, dass man einen Nutzen aus ihnen ziehen kann.
  • Bei der Ideenfindung kommt man meist nicht weit, wenn man sich zu sehr auf die Aufgabe fixiert. Der Geist ist keine Zitrone, die man einfach nur ausquetschen müsste. Dagegen ist es hilfreich, bei vertrackten Aufgabenstellungen, die scheinbar die ganze Konzentration fordern, an ganz andere, völlig abseitig erscheinende Dinge zu denken und sich von ihnen auf Umwegen ins Zielgebiet führen zu lassen. Kreative Prozesse unterliegen nun einmal keinen bürokratischen Anordnungen, sind nicht nach Schema F auszuführen.

Und zum Schluss ein selbstloser Hinweis in eigener Sache

Wer nach einem Kreativitätsschub im Sprachlichen sucht, wird hier fündig und hier.

Foto: Lutz Meyer

Lutz Meyer ist Texter und Autor. Schwerpunktthemen sind Gesundheit, Bauen und Philosophie.

Dieser Beitrag hat 0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar