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Leberwurst

Mein Wort der Woche lautet eindeutig: Wurstigkeit. Und damit meine ich nicht, dass ein Bockwürsten wurstiger ist als eine Bratwurst oder eine Leberwurst. Mir geht es um die Wurstigkeit der Eltern. Bis vor kurzem war mir nicht bewusst, dass ich als Elternteil eine gewisse Wurstigkeit an den Tag legen könnte. Aber nun weiß ich es besser. Wieder was gelernt, würde ich sagen.

Der Aufhänger war sehr banal. Es ging darum, dass immer weniger Eltern Kopiergeld bezahlen. Da die vorhandenen Bücher nicht genügen und Digitalisierung in den Schulen vielfach klemmt, läuft es wie immer schon: Es wird kopiert. Und für diese Kopien zahlen die Eltern. Im Rundbrief der Schule meines Sohnes, immerhin per E-Mail und nicht als ausgehändigte Kopie, erklärte der Rektor, dass sie „kurz vor dem Verzweifeln“ wären. Danach führte er aus, „dass das System Schule an allen Ecken und Enden an seine Grenzen gerät, ist auch der ‚Wurstigkeit‘ eines Teiles der Elternschaft und Schüler/innen geschuldet.“

Den richtigen Ton treffen

Den Kern der Botschaft verstehe ich natürlich. Auch dass die Lehrer keine Lust und Kapazitäten haben, hinter dem Geld hinterherzulaufen. Aber ist mit besagter Wurstigkeit nun eine gewisse Tüdeligkeit gemeint, eine Ist-Mir-doch-egal-Haltung oder sogar eine böse Absicht? Vermutlich alles drei. Schließlich dürften die Gründe für das Nichtzahlen vielfältig sein. Allerdings frage ich mich, ob die Eltern, die so wurstig sind, das Kopiergeld nach Monaten nicht gezahlt zu haben, diejenigen sind, die Rundmails aus der Schule lesen. Vermutlich nicht. Und das ist mein Problem. Ich lese alle Schul-E-Mails. Somit erfahre ich von Vorfällen wie nicht gezahltem Kopiergeld, von einer schludrigen Teilnahme an der Schulbuchausleihe, von Eltern die einen Tag vor den Ferien mit ihren Kindern in Urlaub fliegen, oder von minderjährigen Kindern, die mit geliehenen E-Rollern zu Schule kommen: „Ich bitte Sie, Ihren Kindern ein gutes Vorbild zu sein und dafür zu sorgen, dass die gesetzlichen Regelungen eingehalten werden.“

Ja, doch. Besonders bei den E-Rollern rollt der Rektor bei mir offene Türen ein. Aber an der Sprache sollte er etwas ändern. Denn der Ton macht die Musik oder in diesem Fall: die Wurstigkeit die Wurst. Als Erwachsene wünsche ich mir eine Sprache, die wertschätzend ist, mir auf Augenhöhe begegnet – und mich nicht wie eine Schülerin adressiert. Auch möchte ich nicht, nur weil ich zur Elternschaft gehöre, in einen Generalverdacht geraten. Und noch weniger halte ich von Gemeinschaftsstrafen – damals als Schülerin genauso wenig wie jetzt als Erwachsene. Da erfahrungsgemäß Kritik bei Rektoren und Rektorinnen wenig Wirkung zeigt, werde ich mir heute Abend eine Bratwurst in die Pfanne hauen. Wenn schon wurstig, dann richtig.

Foto: Lutz Meyer

Nicole Hein ist freie Journalistin und Autorin mit den Schwerpunkten Gesundheit, Steuern, Lebensart & Wohnen.